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York Kautt

PD Visuelle Kommunikation und aesthetic research
Institut für Soziologie, Justus-Liebig-Universität Gießen

Kurzbeschreibung

Wir sind heute an der Kunsthochschule der Universität Kassel und sprechen mit PD Dr. York Kautt, der zwar an der Universität Giessen arbeitet, aber in der documenta-Stadt wohnt. Seine Schwerpunkte sind Theorie und Analyse visueller Kommunikation, Sozialökologie, Food-Studies, qualitative Sozialforschung und Medien- und Kultursoziologie. Promoviert hat York Kautt im Fach Soziologie mit einer Arbeit zur Entwicklungsgeschichte von Image. Mit dem Untertitel Zur Genealogie eines Kommunikationscodes der Massenmedien zeichnet die Arbeit die medialen Hintergründe von Imagepflege als Allgemeingut der Gesellschaft nach und macht so zudem den Stellenwert moderner Werbung verständlich. Habilitiert hat York Kautt mit einer Untersuchung zum Thema Soziologie visueller Kommunikation. Er begegnet damit der Tatsache, dass es – trotz der Forderung eines “visual”, “iconic“ oder “pictorial turn” – bislang weitgehend an Entwürfen einer allgemeinen Soziologie fehlt, die die Komplexität der Fachwissenschaft sowie die Komplexität des Gestalteten zum Ausgangspunkt ihrer Perspektiven machen. Die Arbeit zeichnet ein sozialökologisches Konzept und gibt damit eine grundlegende Einführung in einen neuen Gegenstandsbereich. In der nächsten Stunde wollen wir versuchen, die Beziehung zwischen Soziologie und Design zu erkunden.

Das Gespräch mit York Kautt führte Dominik Volz am 28.10.2019 an der Kunsthochschule Kassel.

Motivation

Vorweg haben wir aber eine eher persönliche Frage an Sie: Was motiviert Sie dazu, in eben jenem Spannungsfeld zwischen Soziologie und Design zu forschen?
Im Grunde war die Annäherung ein Prozess. Ursprünglich habe ich damit geliebäugelt, Kunst zu studieren, gleichzeitig habe ich mich aber auch stark für Reportagefotografie, Werbung und Grafik und Design interessiert – also für ein sehr breites Spektrum, mit dem alle möglichen theoretische Fragen einhergehen. An diesen war ich interessiert und bin zunehmend in das Feld der Theorie und Wissenschaft gewechselt. Meine Abschlussarbeit habe ich bei Norbert Bolz über das romantische Naturbild geschrieben und bin in dann über verschiedene Forschungsprojekte, die beispielsweise den Werbewandel untersucht haben, wieder zu der allgemeinen Frage zurück gekommen, was das Gestaltete im weitesten Sinne mit dem Sozialen zu tun hat. Es geht darum zu erforschen, inwiefern die Gesellschaft eine prägende Kraft des Gestalteten ist. Diese Fragestellung habe ich dann zunehmend soziologisch vertieft.

Designbegriff

Sie haben an der Folkwang Universität in Essen Kommunikationsdesign studiert. Haben Sie einen persönlichen Designbegriff entwickelt?

Ja, das habe ich im Rahmen meiner Arbeit „Soziologie visueller Kommunikation“. Mein Designbegriff nimmt eine Idee der Wissenschaften vom Künstlichen von Herbert Simon auf, und zwar insbesondere seine Überlegung, dass alles von Menschen gemachte als Anpassung an bestimmte Umgebungen zu verstehen ist. Er überträgt damit die evolutionstheroetische Idee, dass Organismen sich an ihre natürlichen Umgebungen anpassen, in den erweiterten Kontext von Gestaltung. Als Soziologe verstehe ich das Gestaltete dann als angepasst an die Gesellschaft, an das Soziale und das Kulturelle. Es ergibt sich für das Gestaltete also die grundlegende Frage, an welche sozialen Umgebung es jeweils angepasst ist. Die Soziologie fragt somit nach den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von Design. Wenn man Louis Sullivans Satz “form follows function” aus soziologischer Perspektive spezifizieren wollte, würde ich dementsprechend “design follows social functions” vorschlagen. Sicher hat Design auch außersoziale Funktionen, aber eben auch sehr viele, die mit Sozialität, Gesellschaft und Kultur zu tun haben. Zu den sozialen Umgebungen und Funktionen, an die sich Design anpasst, gehören z.B. Macht, Identitätskonstruktionen wie Gender, Milieu, oder Kultur, historisch variable Emotions-Semantiken oder Gesellschaftsbereiche wie Wissenschaft, Massenmedien oder Religion.

Design & Gesellschaft

Sie arbeiten nun schon eine Weile in der Schnittstelle von Soziologie und Gestaltung. Können Sie zentrale Aspekte der Wirkung von Design auf die Gesellschaft und vice versa festmachen?

Viele sozialen Bedingungen des Gestalteten existieren seit Beginn der Kulturgeschichte. Beispiele dafür wären Konstrukte wie Identität, Geschlecht und Macht. Die Verhältnisse dieser Konstrukte befinden sich im steten Wandel und das Design muss sich immer wieder neu auf sie einstellen. Darüber hinaus gibt es auch viele neuen Anforderungen für die Gegenwartsgesellschaft, wie zum Beispiel die Digitalisierung. Die Gesellschaft muss in ganz vielen Bereichen auf die Computerisierung reagieren: In der Ökonomie, in der Kunst, in den Wissenschaften – überall finden gravierende Transformationsprozesse statt. Und Konsumprodukte, industrielles Design oder Kommunikationsdesign müssen diese Transformationen in einen Gestaltungszusammenhang mit dem Menschen bringen. Das ist aktuell eine große Herausforderung für das Design.

Haben die angedeuteten Komplexitätssteigerungen auch Auswirkungen auf die Gesellschaftsordnung und inwiefern würden Sie das Gestaltete damit in Beziehung setzen?

Gerade im Zuge Digitalisierung ordnen sich die eben angesprochenen Machtverhältnisse in Teilen neu. Das Web 2.0 ermöglicht seit Ende der 90er-Jahre unzählig vielen Menschen, selbst Inhalte in das Internet einzustellen. Damit verschieben sich die verschiedensten Machtverhältnisse ganz gravierend, wie zum Beispiel das zwischen Design und Anwendern oder das zwischen DesignerInnen und AuftraggeberInnen. Heute kann jeder als DesignerIn in Erscheinung treten, sei es in der Selbstdarstellung auf Instagram oder auf der selbstgestalteten Homepage. Die klassische Professionalisierung aus den Zeiten der Massenmedien, die zwischen BerufsakteurInnen und Laien unterschieden hat, bricht zunehmend auf. Amateurkulturen setzen das Design immer wieder unter Druck, differenzieren es aber auch auf eine spannende Art und Weise aus. Dort können ebenfalls interessante Entwürfe entstehen und die Kreativität explodiert gewissermaßen.

Mittlerweile spielen in der Kommunikation nicht mehr nur menschliche Akteure eine Rolle, sondern auch Algorithmen oder Prozesse. Wie wirkt sich das auf das Gestaltete aus?

Das kann man noch nicht genau abschätzen. Softwareformate sind technische Strukturen, die das Handeln der Akteure beeinflussen und prägen. Der Nutzer findet eine bestimmte technische Infrastruktur vor, die ihn in seinem Handlungsspielraum einschränkt. Im Design bedingt beispielsweise die Marktherrschaft der Programme von Adobe eine sichtbare Homogenisierung des Gestalteten. Gleiches gilt aber auch für Plattformen wie Instagram oder YouTube. Neben der Digitalisierung ist die Globalisierung, die in Teilen auch durch die Computerisierung getrieben wird, ein weiterer ganz entscheidender Faktor, der alle Akteure in der Gesellschaft betrifft. Für DesignerInnen geht mit diesem Prozess die Tatsache einher, dass das Gestaltete weltweit sichtbar wird – mit der Anschlusskonsequenz, dass man immer unterstellen muss, auch Empfänger mit einem völlig anderen kulturellen Hintergrund zu erreichen. Daraus entsteht eine nachvollziehbare, globale Designsprache, die aus Globalisierungsbedingungen hervorgeht. Auf diese beiden Faktoren muss sich das Design einstellen.

Konsequenzen

Diese Faktoren haben auch zur Auswirkung, dass der Unterschied zwischen generischen und einem von Hand erstellten Design immer marginaler werden. Was würden Sie heute als professionelles Design beschreiben?
Das einfachste Definitionskriterium wäre natürlich, ob das Design aus einer Profession heraus erstellt wurde. Verdient man also Geld mit dem Erstellen von Designs, ist man professionelleR DesignerIn. Unabhängig davon gibt es aber natürlich auch Qualitätsunterschiede, die von Anforderungslage zu Anforderungslage unterschiedlich zu bemessen sind. Größere Zielgruppen werden meist nur durch professionelles Design erreicht, weil ab einem bestimmten Komplexitätsniveau die Qualität wichtig wird. Große Zielgruppen wollen wiederum von finanzkräftigen Kunden angesprochen werden… Und so differenziert sich der Markt dann aus; das Geld fließt in eine relative Qualitätsgarantie. Hinzu kommt eine Rollendifferenzierung in Unternehmen, die eine professionelle Ausarbeitung über die verschiedensten Gewerke mit sich bringt. Im Umkehrschluss bedeutet das natürlich nicht, dass Laien nicht erfolgreich sein können – es spielt sich aber auf einer anderen Ebene ab.
Hat es vielleicht auch etwas mit grundlegenden Werten zu tun, ab wann man von professionellem Design sprechen kann?
Das ist eine gute Frage. Tragischerweise würde ich das verneinen.
Schade.

Ja. Aber die im Moment vielleicht akuteste Transformation der Gesellschaft ist jene hin zu einer sogenannten Nachhaltigkeits- oder Postwachstumsgesellschaft. Diese Herausforderung wird uns quasi vom Planeten respektive der Natur aufgedrückt. Die Menschen müssen dringend nachjustieren, ob sie wollen oder nicht. Und das ist wahrscheinlich auch die größte Herausforderung an das Design der Zukunft – nicht etwa die Digitalisierung, wie manche derzeit meinen. Schließlich ist die Verknappung der Ressourcen unseres Planeten nicht von der Hand zu weisen. In diesem Kontext gilt es, mehrere Kunststücke zu bewältigen; allen voraus, wie man mit weniger oder keinem Wachstum noch akzeptabel leben kann – nicht zuletzt auch als DesignerIn. Denn es ist unumstritten, dass der Produktmarkt kleiner werden muss. Das Design muss sich auf dem Weg zu Postwachstumsgesellschaft also bestenfalls so positionieren, dass die Reduktion des Konsumverhaltens begehrenswert wird. Das wäre ein grundlegender Wert, der für reflektiertes Design stehen könnte. Strategien für das Wecken von Begehrlichkeit kennt die Disziplin letztendlich genug.

Mittel & Methoden

Müssen DesignerInnen und das Gestaltete also sensibler werden?
Auf jeden Fall, gerade hinsichtlich Nachhaltigkeit. Im Moment wird das Thema eher als Nische bedient und es werden nur bestimmte Zielgruppen an ganz bestimmten Punkten abgeholt. Ein Mainstreaming von Nachhaltigkeit über alle Produktgruppen hinweg ist jedenfalls bislang nicht zu beobachten. Das scheint im Zielkonflikt von Unternehmen begründet, gleichzeitig wachsen und nachhaltig sein zu wollen. Vielleicht kann sich das Design diesem Problem sogar ganz grundsätzlich annehmen.
Braucht es für das Bewältigen derartiger Herausforderungen mehr Raum für Reflexion, gerade in der heutigen Getriebenheit der Produktionsgesellschaft?
Das kann man sicherlich so sagen. Viele Gesellschaftsbeobachter attestieren der Gegenwartsgesellschaft genau dieses Problem, wenn sie vom flexiblen Menschen und der Temporalisierung verschiedener Arbeitsmärkte sprechen. Seit der Benennung der Konsumgesellschaft in den 1950er Jahren ist alles ungeheuer dynamischer und schnelllebiger geworden. Entschleunigung ist daher ein wichtiger Faktor, der aber im Widerspruch zum aktuellen Design steht, das in der Konsumgesellschaft mit Fokus auf Expansion und Beschleunigung von Märkten verankert ist; eine Art Selbstverknappung der Märkte, von Angebotsmöglichkeiten und von Gewinn klingt dort im ersten Moment nicht zuträglich.
Wenn man Design nun abseits von Konsum und Dingdesign denkt, vielleicht etwas prozesshafter vorangestellt, zeichnet sich dann ein genereller Bedarf an Reflexionsspielraum im Design ab?

Unbedingt. Das kann man auch auf die praktische Dimension von Studiengängen herunterbrechen und sich fragen, wie viel Zeit man heute im Studium noch hat, um sich in Ruhe zu überlegen, was die Gesellschaft überhaupt ist und was das Design für sie tun könnte. Das sind Fragen, mit denen sich bereits Klassiker des Designs beschäftigt haben, wie zum Beispiel Max Bill. Es müsste zunächst erarbeitet werden, was die Anforderungslagen der Gesellschaft sind – und dazu braucht es den reflexiven Spielraum, um über Gesellschaft als solche nachdenken zu können, ohne jeglichen Nutzen im Hinterkopf. Bestenfalls spiegelt sich das in den Angebotsstrukturen eines Studiengangs wieder, indem im Bachelor und Master Module implementiert sind, die Studierende wahrhaftig befähigen, über Kultur und Gesellschaft nachzudenken. So kann sich die Reflexion im Bewusstsein formen und verankern, um später in die anderen Felder des Designstudiums übertragen zu werden.

Muss das mit einer verstärkten Transdisziplinarität einhergehen?

Auch das unbedingt. Design ist idealerweise ein transdisziplinärer Beruf, weil DesignerInnen nicht theoretisieren, sondern mit ihrer Arbeit unsere Umgebung unmittelbar beeinflussen. Durch das Gestalten von Gebrauchsgegenständen haben DesignerInnen eine datensetzende Macht, die sich aus dem transdisziplinären Praxiskontext von Oberflächen, Materialitäten und so weiter ergibt. Und das Gestaltete wird zudem in den unterschiedlichsten sozialen Kontexten genutzt. Entsprechend müssen DesignerInnen transdisziplinäre Geister sein, um die verschiedenen Bedarfslagen integrieren zu können.

Nun sind alle DesignerInnen per se in einer Gesellschaft groß geworden und damit zwar nicht explizit, aber zumindest implizit mit Gesellschaftsstrukturen und Sozialität vertraut. Welche Mittel und Methoden könnten helfen, dieses Wissen sichtbar zu machen und zu verstärken?

Die Soziologie beschäftigt sich unter anderem damit, dass Menschen einen bestimmten Habitus ausbilden. Dieser Habitus kann nun schichtspezifisch, kulturspezifisch oder genderspezifisch sein. Das heißt, jeder Mensch ist ein Produkt seiner Sozialisation und damit in einem gewissen Rahmen festgelegt, aber genauso in einem gewissen Rahmen flexibel, was den Lebensweg, das Lernverhalten oder die Gewohnheiten angeht. Das Wissen über diesen Sachverhalt kann helfen, sich selbst darüber klar zu werden, in welcher Gesellschaft man sich bewegt, was das für Implikationen auf das eigene Design hat und welche Zielgruppen es überhaupt zu bedienen gibt – vielleicht auch fernab vom Mainstream. Dieses Wissen könnte man nun in einem Studiengang reflexiv zugänglich machen, sei es über soziologische Texte oder ethnografische Experimente. Man könnte sich dafür zum Beispiel Rollentauschexperimente vorstellen, die Studierende in die Rolle der Zielgruppe versetzen oder auch eine empirische Annäherung an die Zielgruppe in einer Feldforschung. Das hilft, einen Blick über das eigene, sozialisatorisch erworbene Vorwissen hinaus zu entwickeln und zu schärfen.

Wie eben schon kurz angerissen, gestaltet man als DesignerIn Dinge, die Menschen tagtäglich umgeben und vielleicht auch ihre Identität prägen. Man hat also auch eine gewisse Macht respektive Verantwortung. Sollte dieser Punkt mehr in das Bewusstsein der Studierenden gerückt werden?

Unbedingt. Da wir unsere Umräume selten frei wählen können, sind wir auch alle „Erleidende“ des Designs. Man muss sich also mit Macht beschäftigen. In der Soziologie würde man Macht allerdings nach Max Weber als die Durchsetzung der eigenen Interessen gegen den Willen von Anderen beschreiben. Macht im engeren Sinne ist also die Macht, etwas durchzusetzen. Das Design hat diese Macht eigentlich nicht, daher muss es eher auf Verführung, Beeinflussung oder Manipulation zurückgreifen. Wenn man sich dessen bewusst ist, kann man das als etwas Positives betrachten. Eine große Leerstelle der Gegenwartsgesellschaft ist beispielsweise die Verführungskunst in Richtung Nachhaltigkeit. Würde man die Macht des Designs ausspielen, könnte Nachhaltigkeit sexy, attraktiv und erstrebenswert aussehen. Denn die Macht des Designs ist eben nicht die Durchsetzung der eigenen Interessen gegen den Willen von Anderen, sondern die Kunst der Verführung. Das ist nichts Neues, insofern Fetische nach Karl Marx schon immer verführen, indem sie zum Beispiel den Prozess ihrer Herstellung vergessen machen. Das Begehren nach etwas zu wecken ist die Macht, die Design hat – und über die man aufklären kann. Nur mit dem Wissen, dass man als DesignerIn diese Macht der Verführung hat, kann man sich der Frage stellen, wofür man sie einsetzen will.

Verführung klingt ein bisschen negativ…
Dass Verführung immer nur mit der Verführung zum Bösen kurzgeschlossen wird, ist ein Problem unserer Gesellschaft. Wir denken an Propaganda oder an die böse Konsumwerbung für schlechte Güter. Das ist aber zu kurz gedacht, weil man entscheiden kann, wie man Verführung einsetzt. Wenn man sich darüber im Klaren ist, dass das Design nur die Macht der Verführung hat, aber nicht die Macht der Durchsetzung, dann kann man sich auf das Spiel einlassen. Und letztendlich kommt Design wohl nicht umhin, ein Begehren zu erwecken.
Sie sagen also, dass man mit der nötigen Reflexion die Verführung auch positiv besetzen kann, abseits der klassischen Herrschaftsgedanken?

Genau. Auch das Gute muss verführen. Das ist die Pointe.

Vielleicht schlagen wir hier wieder den Bogen zu Ihrem Satz „form follows social functions“; können Sie diesen vor dem gerade angesprochen Hintergrund in den Kontext setzen?
Geht es im Kontext um Nachhaltigkeit, müsste man den Spruch wohl ein wenig umschreiben – beispielsweise zu “form follows ecological functions”. Denn das, was man unter sozialen Dimensionen versteht, ist ja gerade nicht das Natürliche. Soziologie interessiert sich als Theorie der Gesellschaft für alles, was sich kommunikativ und sozial in der Gesellschaft ereignet. Dazu zählt alles, was die Menschen sozial konstruieren: Nationalstaaten, Geschlecht, Alter, Politik, Emotionssemantiken, Kultur, Rollen, bestimmte Formen von Subjektivität und so weiter. Was darunter aber eben nicht fällt, sind unsere natürlichen Lebensgrundlagen, also die ökologischen Systeme der Welt, wie sie durch die Naturwissenschaften untersucht werden. Das ist deswegen wichtig zu unterscheiden, weil Design im Hinblick auf Nachhaltigkeit wohl nicht nur sozialen Funktionen folgen sollte, sondern auch oder gerade ökologischen Funktionen wie Ressourcenverbrauch oder Recyclingfähigkeit. In Bezug auf Fetischismus sollte Design paradoxer Weise darauf abzielen, insgesamt weniger Konsum zu erreichen. Es müsste eben zum Begehren verführen, weniger zu wollen.
Das klingt kompliziert.
Das ist die große Herausforderung der Zeit.
Können Sie aus Ihrer Sicht als Soziologe weitere zentrale Problemstellungen des Designs benennen?
Man kann sie insofern nicht alle benennen, als dass es unendlich viele sind. Für mich sind die beiden zentralen Problemstellungen weiterhin die Digitalisierung und die Endlichkeit natürlicher Ressourcen, was für den Menschen nunmal lebensbedrohlich werden kann. Für einen sinnvollen Beitrag zur Gesellschaft muss sich das Design sicherlich vorangig diesen Problemlagen stellen.
Sehen Sie konkrete soziologische Methoden oder Mittel, wie wir diesen Herausforderungen begegnen können?

Da die Soziologie keine Materialkunde ist, würde sie nicht wie die Ingenieurswissenschaften oder Chemie antworten, sondern sehr stark auf Reflexion des Sozialen setzen. Man muss über die gesellschaftlichen Zusammenhänge aufklären. Da gibt es einerseits den Konsumismus mit der zentralen Frage, warum wir immer mehr wollen. Konsum hat viel mit den Anerkennungslogiken unserer Gesellschaft zu tun, denen zumeist normative Ordnungen zugrunde legen, die es zu befolgen gilt. Über dieses „Diktat zum Konsum“, dass vorrangig gesellschaftliche und kulturelle Gründe hat, kann die Soziologie wahrscheinlich besser als alle anderen Fachwissenschaften aufklären. Darauf aufbauend kann sie die Frage anregen, wie man sich aus diesem Konsumismus lösen kann. Praktischer auf Design bezogen geht es aber nicht nur um Begehrensstrukturen, sondern auch um ökonomische, chemische oder physikalische Funktionen, beispielsweise in Produktionsprozessen, über die ganz andere Fachwissenschaften aufklären müssen. In diesem Sinne der Nachhaltigkeit ist gutes Design der Zukunft notwendigerweise eine wahrhaftig interdisziplinäre Aufgabe, die nicht durch die Konzentration auf eine, sondern auf viele andere Fachwissenschaften zu lösen ist. Das Zusammenführen der verschiedenen Wissenschaften müsste daher Bestandteil des Studiums sein, wobei die Frage danach, wie man etwas „gut“ gestaltet im Mittelpunkt steht. Durch das vermehrte Aufkommen von gesellschaftlichen und natürlichen Problemlagen kommen die Designer aber eben auch zwangsweise in die Rolle, andere gesellschaftliche wie natürliche Felder in den Blick nehmen zu müssen.

Gibt es so etwas wie „aufklärendes Design“?
Das ist eine schwierige Frage. Es gibt Design, das sich selbst als Design sichtbar macht, sodass Betrachtende oder Benutzende auf die artifizielle Herkunft des Gestalteten aufmerksam werden und gegebenenfalls diese Herkunft reflektieren. Aber ob Design in einem reflexiven Verhältnis zur Gesellschaft steht, also in der Gestaltung über Gesellschaft aufklären kann, würde ich in Frage stellen. Umgekehrt macht es Sinn, Wissen und Informationen durch Design so aufzubereiten, dass es beziehungsweise sie besser angenommen werden. Das passiert zum Beispiel unter dem Begriff Informationsdesign, und das ist auch wichtig.
An diesem Punkt zeigt sich die Ambivalenz, in der man sich als DesignerIn wiederfindet: Auf der einen Seite kann man verführen, auf der anderen Seite Informationen vermitteln. Sind diese beiden Aspekte für Sie auseinanderzuhalten oder können sie auch zusammen funktionieren?

Im Grunde müssen sie zusammen funktionieren. Die Unterscheidung zwischen Form und Inhalt war noch nie überzeugend. Jeder Inhalt kommt immer in einer Form daher, denn jede Kommunikation braucht ein mediales Substrat, in das sie sich einbinden muss. Sprache funktioniert über Schallwellen, Schrift funktioniert als Gestalt auf Papier. Die auditive oder visuelle Sprache, in der ein bestimmter Inhalt formuliert ist, ist auch immer eine Form. Das zeigt, dass man sie garnicht auseinanderhalten kann, sondern sie immer als Einheit betrachten muss. Und es zeigt auch, welche Bedeutung Design haben kann. Es macht beispielsweise einen großen Unterschied, ob sie einen wissenschaftlichen Text in Times New Roman, in Helvetica oder gar in einer geschwungenen Handschrift setzen. Die Anmutung verändert sich stark und die Form wirkt damit auf den Inhalt.

Designlehre

Nun haben wir ein weites Feld aufgemacht, von Kultur und Gesellschaft bis zu Mikrotypografie. Was wären für Sie die Konsequenzen für Gestaltung, wenn man „gutes Design“ machen will? Und was hätte das für Konsequenzen für die Lehre?
Als Soziologe würde ich zusammenfassend sagen, dass Design zum einen ein Eigenwert für Menschen in dieser Gesellschaft sein kann. Man kann sich ganz Unterschiedliches unter Design vorstellen, weshalb es ganz unterschiedliche Formprogramme oder Stilrichtungen gibt. Diese Mannigfaltigkeit des Designs hat auf jeden Fall seine Berechtigung. Zum anderen gibt es Bedarfslagen, die sich die Gesellschaft und das Design nicht aussuchen können, sondern wo sie vielmehr gezwungen sind, zu reagieren. Die ökologischen Probleme sind wohl die größte Herausforderung, aber auch soziale Ungleichheit. Die Professionalisierung des Designs bis in die Studiengänge muss diese Problemlagen aufnehmen. Das Design wäre also gut beraten, insbesondere auf das ökologische Problem schnell zu reagieren und sich in Richtung Nachhaltigkeit zu bewegen. Die Digitalisierung ist etwas von Menschen Gemachtes und damit aktiver gestaltbar. Auch sie muss in den Studiengängen berücksichtigt werden, von der Lehre einfacher Programme bis hin zu den Fragen, was die computerisierte Gesellschaft überhaupt ist, welche verschiedenen Öffentlichkeiten es gibt und welche Zielgruppen sich daraus ergeben.
Hat die Gestaltungsdisziplin hinsichtlich dessen einen Nachholbedarf in Sachen Anschlussfähigkeit an andere wissenschaftliche Disziplinen?

In gewisser Weise sicherlich. Allerdings müssen DesignerInnen bis zu einem gewissen Punkt wohl auch GeneralistInnen bleiben. Man kann von DesignerInnen trotz Computerisierung nicht erwarten, dass sie in das Informatikstudium einsteigen – eine funktionale Differenzierung muss aufrechterhalten werden. Auch in Zukunft wird die große Kunst darin bestehen, die wichtigen Aspekte der angrenzenden Felder zu extrahieren um anschlussfähig zu bleiben und gleichzeitig genug Zeit für die entscheidenden Gestaltungsfragen zu haben.

Also eine gesunde Mischung aus Anschlussfähigkeit und Selbstbewusstsein.
Ja, das stimmt. DesignerInnen müssen sich selbst bewusst sein. Sie brauchen aber auch und gerade das Selbstbewusstsein mitzureden – obwohl sie vielleicht das Gefühl haben, die Tiefe des Feldes nicht komplett durchdrungen zu haben. Vielleicht sind DesignerInnen mehr denn je dazu aufgerufen, eine Art ManagerInnen des Transdisziplinären zu sein – in dem Sinne, dass sie sich die Expertisen für das Projekt entsprechend einholen.
Design kann also einiges von anderen Disziplinen lernen. Können auch andere Disziplinen von Design profitieren?
Auf jeden Fall. Insbesondere von dem, das man – oft etwas nebulös – Kreativität und kreative Prozesse nennt. DesignerInnen gehen offen und teilweise auch emotional an etwas heran und stellen andere Fragen. Und wenn man in Richtung partizipatives Design denkt, sind DesignerInnen wohl schon immer näher am Feld respektive ihren Kunden, als viele Wissenschaftler.

Ethik & Moral

Abschließend würden wir gerne von Ihnen wissen, was für Sie die ethische Komponente im Design ist, und worauf man als DesignerIn hinsichtlich dessen achten sollte?
Ethik ist die Theorie der Moral, man kann also Kriterien benennen, warum man Dieses oder Jenes tut. Insofern wäre ein stark ethisch fundiertes Design absolut wünschenswert. Vor allem in der Praxis ist die ethische Reflexion, also die Frage nach den Kriterien des Guten, Wahren und Schönen für gestaltete Produkte zentral. Und so wie die Gesellschaft momentan funktioniert und wie es um die Welt bestellt ist, wäre die Frage nach der Nachhaltigkeit letztendlich auch hier ein wichtiges Kriterium. Diese Frage scheint mittlerweile unabdingbar, da jedes Design Ressourcen verbraucht – egal ob analog oder digital. Die Zweckhaftigkeit dieses Verbrauchs und seiner Einsparpotenziale, also die ökologische Dimension des Designs, muss in Zukunft reflektiert werden. Darüber hinaus gibt es natürlich auch weitere ethische Reflexionsbedarfe für Themengebiete wie Rassismus, Ethnizität, Gender und andere, mit denen soziale Problemlagen einhergehen, die Menschen ausgrenzen oder einschließen können.
Sollte die Frage nach Ethik von jedem Designer und jeder Designerin individuell beantwortet werden, oder sollte es Fächer oder Seminare ob der Reflexion geben?
Die Frage sollte Teil des Studiums sein. Trotz unserer individualisierten Gesellschaft ist Ethik grundsätzlich nichts Individuelles, man denke beispielsweise an den Kant’schen Kategorischen Imperativ. Damit es nicht in einem Kampf jeder gegen jeden endet, muss Ethik immer das Allgemeine und allgemeine Problemlagen im Sinn haben. In dem Moment, wo DesignerInnen für das Allgemeine gestalten, müssen die Kriterien auch in diese Richtung gedacht werden. Gleichwohl muss Ethik auch so gestaltet sein, dass sie jedem Menschen individuell gefällt. In diesem Sinne könnten ethisches Design und Verführungskunst also durchaus gut zusammenpassen.
Vielen Dank für dieses schöne Abschlussstatement und natürlich für das Gespräch.
Ich danke Ihnen!