York Kautt
PD Visuelle Kommunikation und aesthetic research
Institut für Soziologie, Justus-Liebig-Universität Gießen
Kurzbeschreibung
Das Gespräch mit York Kautt führte Dominik Volz am 28.10.2019 an der Kunsthochschule Kassel.
Motivation
Designbegriff
Sie haben an der Folkwang Universität in Essen Kommunikationsdesign studiert. Haben Sie einen persönlichen Designbegriff entwickelt?
Ja, das habe ich im Rahmen meiner Arbeit „Soziologie visueller Kommunikation“. Mein Designbegriff nimmt eine Idee der Wissenschaften vom Künstlichen von Herbert Simon auf, und zwar insbesondere seine Überlegung, dass alles von Menschen gemachte als Anpassung an bestimmte Umgebungen zu verstehen ist. Er überträgt damit die evolutionstheroetische Idee, dass Organismen sich an ihre natürlichen Umgebungen anpassen, in den erweiterten Kontext von Gestaltung. Als Soziologe verstehe ich das Gestaltete dann als angepasst an die Gesellschaft, an das Soziale und das Kulturelle. Es ergibt sich für das Gestaltete also die grundlegende Frage, an welche sozialen Umgebung es jeweils angepasst ist. Die Soziologie fragt somit nach den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von Design. Wenn man Louis Sullivans Satz “form follows function” aus soziologischer Perspektive spezifizieren wollte, würde ich dementsprechend “design follows social functions” vorschlagen. Sicher hat Design auch außersoziale Funktionen, aber eben auch sehr viele, die mit Sozialität, Gesellschaft und Kultur zu tun haben. Zu den sozialen Umgebungen und Funktionen, an die sich Design anpasst, gehören z.B. Macht, Identitätskonstruktionen wie Gender, Milieu, oder Kultur, historisch variable Emotions-Semantiken oder Gesellschaftsbereiche wie Wissenschaft, Massenmedien oder Religion.
Design & Gesellschaft
Viele sozialen Bedingungen des Gestalteten existieren seit Beginn der Kulturgeschichte. Beispiele dafür wären Konstrukte wie Identität, Geschlecht und Macht. Die Verhältnisse dieser Konstrukte befinden sich im steten Wandel und das Design muss sich immer wieder neu auf sie einstellen. Darüber hinaus gibt es auch viele neuen Anforderungen für die Gegenwartsgesellschaft, wie zum Beispiel die Digitalisierung. Die Gesellschaft muss in ganz vielen Bereichen auf die Computerisierung reagieren: In der Ökonomie, in der Kunst, in den Wissenschaften – überall finden gravierende Transformationsprozesse statt. Und Konsumprodukte, industrielles Design oder Kommunikationsdesign müssen diese Transformationen in einen Gestaltungszusammenhang mit dem Menschen bringen. Das ist aktuell eine große Herausforderung für das Design.
Gerade im Zuge Digitalisierung ordnen sich die eben angesprochenen Machtverhältnisse in Teilen neu. Das Web 2.0 ermöglicht seit Ende der 90er-Jahre unzählig vielen Menschen, selbst Inhalte in das Internet einzustellen. Damit verschieben sich die verschiedensten Machtverhältnisse ganz gravierend, wie zum Beispiel das zwischen Design und Anwendern oder das zwischen DesignerInnen und AuftraggeberInnen. Heute kann jeder als DesignerIn in Erscheinung treten, sei es in der Selbstdarstellung auf Instagram oder auf der selbstgestalteten Homepage. Die klassische Professionalisierung aus den Zeiten der Massenmedien, die zwischen BerufsakteurInnen und Laien unterschieden hat, bricht zunehmend auf. Amateurkulturen setzen das Design immer wieder unter Druck, differenzieren es aber auch auf eine spannende Art und Weise aus. Dort können ebenfalls interessante Entwürfe entstehen und die Kreativität explodiert gewissermaßen.
Das kann man noch nicht genau abschätzen. Softwareformate sind technische Strukturen, die das Handeln der Akteure beeinflussen und prägen. Der Nutzer findet eine bestimmte technische Infrastruktur vor, die ihn in seinem Handlungsspielraum einschränkt. Im Design bedingt beispielsweise die Marktherrschaft der Programme von Adobe eine sichtbare Homogenisierung des Gestalteten. Gleiches gilt aber auch für Plattformen wie Instagram oder YouTube. Neben der Digitalisierung ist die Globalisierung, die in Teilen auch durch die Computerisierung getrieben wird, ein weiterer ganz entscheidender Faktor, der alle Akteure in der Gesellschaft betrifft. Für DesignerInnen geht mit diesem Prozess die Tatsache einher, dass das Gestaltete weltweit sichtbar wird – mit der Anschlusskonsequenz, dass man immer unterstellen muss, auch Empfänger mit einem völlig anderen kulturellen Hintergrund zu erreichen. Daraus entsteht eine nachvollziehbare, globale Designsprache, die aus Globalisierungsbedingungen hervorgeht. Auf diese beiden Faktoren muss sich das Design einstellen.
Konsequenzen
Ja. Aber die im Moment vielleicht akuteste Transformation der Gesellschaft ist jene hin zu einer sogenannten Nachhaltigkeits- oder Postwachstumsgesellschaft. Diese Herausforderung wird uns quasi vom Planeten respektive der Natur aufgedrückt. Die Menschen müssen dringend nachjustieren, ob sie wollen oder nicht. Und das ist wahrscheinlich auch die größte Herausforderung an das Design der Zukunft – nicht etwa die Digitalisierung, wie manche derzeit meinen. Schließlich ist die Verknappung der Ressourcen unseres Planeten nicht von der Hand zu weisen. In diesem Kontext gilt es, mehrere Kunststücke zu bewältigen; allen voraus, wie man mit weniger oder keinem Wachstum noch akzeptabel leben kann – nicht zuletzt auch als DesignerIn. Denn es ist unumstritten, dass der Produktmarkt kleiner werden muss. Das Design muss sich auf dem Weg zu Postwachstumsgesellschaft also bestenfalls so positionieren, dass die Reduktion des Konsumverhaltens begehrenswert wird. Das wäre ein grundlegender Wert, der für reflektiertes Design stehen könnte. Strategien für das Wecken von Begehrlichkeit kennt die Disziplin letztendlich genug.
Mittel & Methoden
Unbedingt. Das kann man auch auf die praktische Dimension von Studiengängen herunterbrechen und sich fragen, wie viel Zeit man heute im Studium noch hat, um sich in Ruhe zu überlegen, was die Gesellschaft überhaupt ist und was das Design für sie tun könnte. Das sind Fragen, mit denen sich bereits Klassiker des Designs beschäftigt haben, wie zum Beispiel Max Bill. Es müsste zunächst erarbeitet werden, was die Anforderungslagen der Gesellschaft sind – und dazu braucht es den reflexiven Spielraum, um über Gesellschaft als solche nachdenken zu können, ohne jeglichen Nutzen im Hinterkopf. Bestenfalls spiegelt sich das in den Angebotsstrukturen eines Studiengangs wieder, indem im Bachelor und Master Module implementiert sind, die Studierende wahrhaftig befähigen, über Kultur und Gesellschaft nachzudenken. So kann sich die Reflexion im Bewusstsein formen und verankern, um später in die anderen Felder des Designstudiums übertragen zu werden.
Auch das unbedingt. Design ist idealerweise ein transdisziplinärer Beruf, weil DesignerInnen nicht theoretisieren, sondern mit ihrer Arbeit unsere Umgebung unmittelbar beeinflussen. Durch das Gestalten von Gebrauchsgegenständen haben DesignerInnen eine datensetzende Macht, die sich aus dem transdisziplinären Praxiskontext von Oberflächen, Materialitäten und so weiter ergibt. Und das Gestaltete wird zudem in den unterschiedlichsten sozialen Kontexten genutzt. Entsprechend müssen DesignerInnen transdisziplinäre Geister sein, um die verschiedenen Bedarfslagen integrieren zu können.
Die Soziologie beschäftigt sich unter anderem damit, dass Menschen einen bestimmten Habitus ausbilden. Dieser Habitus kann nun schichtspezifisch, kulturspezifisch oder genderspezifisch sein. Das heißt, jeder Mensch ist ein Produkt seiner Sozialisation und damit in einem gewissen Rahmen festgelegt, aber genauso in einem gewissen Rahmen flexibel, was den Lebensweg, das Lernverhalten oder die Gewohnheiten angeht. Das Wissen über diesen Sachverhalt kann helfen, sich selbst darüber klar zu werden, in welcher Gesellschaft man sich bewegt, was das für Implikationen auf das eigene Design hat und welche Zielgruppen es überhaupt zu bedienen gibt – vielleicht auch fernab vom Mainstream. Dieses Wissen könnte man nun in einem Studiengang reflexiv zugänglich machen, sei es über soziologische Texte oder ethnografische Experimente. Man könnte sich dafür zum Beispiel Rollentauschexperimente vorstellen, die Studierende in die Rolle der Zielgruppe versetzen oder auch eine empirische Annäherung an die Zielgruppe in einer Feldforschung. Das hilft, einen Blick über das eigene, sozialisatorisch erworbene Vorwissen hinaus zu entwickeln und zu schärfen.
Unbedingt. Da wir unsere Umräume selten frei wählen können, sind wir auch alle „Erleidende“ des Designs. Man muss sich also mit Macht beschäftigen. In der Soziologie würde man Macht allerdings nach Max Weber als die Durchsetzung der eigenen Interessen gegen den Willen von Anderen beschreiben. Macht im engeren Sinne ist also die Macht, etwas durchzusetzen. Das Design hat diese Macht eigentlich nicht, daher muss es eher auf Verführung, Beeinflussung oder Manipulation zurückgreifen. Wenn man sich dessen bewusst ist, kann man das als etwas Positives betrachten. Eine große Leerstelle der Gegenwartsgesellschaft ist beispielsweise die Verführungskunst in Richtung Nachhaltigkeit. Würde man die Macht des Designs ausspielen, könnte Nachhaltigkeit sexy, attraktiv und erstrebenswert aussehen. Denn die Macht des Designs ist eben nicht die Durchsetzung der eigenen Interessen gegen den Willen von Anderen, sondern die Kunst der Verführung. Das ist nichts Neues, insofern Fetische nach Karl Marx schon immer verführen, indem sie zum Beispiel den Prozess ihrer Herstellung vergessen machen. Das Begehren nach etwas zu wecken ist die Macht, die Design hat – und über die man aufklären kann. Nur mit dem Wissen, dass man als DesignerIn diese Macht der Verführung hat, kann man sich der Frage stellen, wofür man sie einsetzen will.
Genau. Auch das Gute muss verführen. Das ist die Pointe.
Da die Soziologie keine Materialkunde ist, würde sie nicht wie die Ingenieurswissenschaften oder Chemie antworten, sondern sehr stark auf Reflexion des Sozialen setzen. Man muss über die gesellschaftlichen Zusammenhänge aufklären. Da gibt es einerseits den Konsumismus mit der zentralen Frage, warum wir immer mehr wollen. Konsum hat viel mit den Anerkennungslogiken unserer Gesellschaft zu tun, denen zumeist normative Ordnungen zugrunde legen, die es zu befolgen gilt. Über dieses „Diktat zum Konsum“, dass vorrangig gesellschaftliche und kulturelle Gründe hat, kann die Soziologie wahrscheinlich besser als alle anderen Fachwissenschaften aufklären. Darauf aufbauend kann sie die Frage anregen, wie man sich aus diesem Konsumismus lösen kann. Praktischer auf Design bezogen geht es aber nicht nur um Begehrensstrukturen, sondern auch um ökonomische, chemische oder physikalische Funktionen, beispielsweise in Produktionsprozessen, über die ganz andere Fachwissenschaften aufklären müssen. In diesem Sinne der Nachhaltigkeit ist gutes Design der Zukunft notwendigerweise eine wahrhaftig interdisziplinäre Aufgabe, die nicht durch die Konzentration auf eine, sondern auf viele andere Fachwissenschaften zu lösen ist. Das Zusammenführen der verschiedenen Wissenschaften müsste daher Bestandteil des Studiums sein, wobei die Frage danach, wie man etwas „gut“ gestaltet im Mittelpunkt steht. Durch das vermehrte Aufkommen von gesellschaftlichen und natürlichen Problemlagen kommen die Designer aber eben auch zwangsweise in die Rolle, andere gesellschaftliche wie natürliche Felder in den Blick nehmen zu müssen.
Im Grunde müssen sie zusammen funktionieren. Die Unterscheidung zwischen Form und Inhalt war noch nie überzeugend. Jeder Inhalt kommt immer in einer Form daher, denn jede Kommunikation braucht ein mediales Substrat, in das sie sich einbinden muss. Sprache funktioniert über Schallwellen, Schrift funktioniert als Gestalt auf Papier. Die auditive oder visuelle Sprache, in der ein bestimmter Inhalt formuliert ist, ist auch immer eine Form. Das zeigt, dass man sie garnicht auseinanderhalten kann, sondern sie immer als Einheit betrachten muss. Und es zeigt auch, welche Bedeutung Design haben kann. Es macht beispielsweise einen großen Unterschied, ob sie einen wissenschaftlichen Text in Times New Roman, in Helvetica oder gar in einer geschwungenen Handschrift setzen. Die Anmutung verändert sich stark und die Form wirkt damit auf den Inhalt.
Designlehre
In gewisser Weise sicherlich. Allerdings müssen DesignerInnen bis zu einem gewissen Punkt wohl auch GeneralistInnen bleiben. Man kann von DesignerInnen trotz Computerisierung nicht erwarten, dass sie in das Informatikstudium einsteigen – eine funktionale Differenzierung muss aufrechterhalten werden. Auch in Zukunft wird die große Kunst darin bestehen, die wichtigen Aspekte der angrenzenden Felder zu extrahieren um anschlussfähig zu bleiben und gleichzeitig genug Zeit für die entscheidenden Gestaltungsfragen zu haben.