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Erich Schöls

Professor für Interaktive Medien
Fakultät Gestaltung Würzburg

Kurzbeschreibung

Wir sind heute zu Gast an der Fakultät Gestaltung der Hochschule Würzburg und sprechen mit Erich Schöls. Erich Schöls ist gelernter Druckvorlagenhersteller und hat Visuelle Kommunikation an der Hochschule für Gestaltung in Schwäbisch Gmünd studiert. Bereits nach seinem Studium hat er sich mit digitaler Informationsgestaltung beschäftigt, Anfang der 90er-Jahre zuerst bei Doublespace in New York, zurück in Deutschland dann in seinem eigenen Unternehmen. Nach mehreren Jahren verschiedener Lehrtätigkeiten wurde er im Jahr 2000 als Professor an die Fakultät Gestaltung der Hochschule Würzburg berufen, wo er seither den Studienschwerpunkt „Interaktive Medien“ leitet. Stand heute war Erich Schöls über zehn Jahre Prodekan, ist seit 2014 Studiengangsleiter für das Masterprogramm und seit diesem Semester Dekan der Fakultät Gestaltung. Besonders spannend für unser Gespräch ist dabei die Tatsache, dass er 2011, zusammen mit der Fakultät Informatik und Wirtschaftsinformatik, das Institut Design und Informationssysteme, kurz IDIS, gegründet hat. Damit hat er schon sehr früh eine enge Kooperation zwischen Kommunikationsdesign und Informatik aufgebaut, die bis heute eine sinnvolle Verschmelzung von Idee, Inhalt, Design und Funktion forciert. Und als wäre das nicht genug, leitet Erich Schöls seit 2004 das ebenfalls von ihm etablierte Steinbeis-Forschungszentrum Design und Systeme, welches sich wiederum mit der angewandten und interdisziplinären Forschung und Entwicklung im Bereich der digitalen Informations- und Kommunikationsmedien beschäftigt.

Das Gespräch mit Erich Schöls führte Dominik Volz am 17.10.2019 an der FH Würzburg-Schweinfurt.

Motivation

Das alles klingt nach einem viel beschäftigten Mann, was uns auch gleich zu unserer ersten simplen wie essenziellen Frage führt: Woher nehmen sie die Motivation, sich fortwährend mit der Forschung und Entwicklung im Bereich der sich immer schneller wandelnden interaktiven Medien zu beschäftigen?
Ich glaube, die Motivation kommt bis zum heutigen Tag aus der Erkenntnis, einen der interessantesten und inspirierendsten Berufe zu haben. Und das sind keine motivierenden Worte eines älter werdenden Designers an den jungen Nachwuchs, sondern ein tatsächlich erlebtes Gefühl. Ich kann mich wirklich nicht erinnern, dass ich mich in diesen vielen Jahren irgendwann gelangweilt hätte. Es passiert so viel Aufregendes und es kommt so viel in Gang – vor allem durch die Digitalisierung, die eine hohe Dynamik hervorbringt… natürlich auch im Bereich des klassischen Kommunikationsdesigns. Und speziell auf meine Tätigkeit an der Hochschule bezogen gibt es nichts Aufregenderes, als immer und immer wieder mit jungen Menschen zusammenzuarbeiten. Das verhindert die Langeweile und ich glaube, bei diesem Punkt spreche ich auch für meine Kollegen. Design ist immer noch eine sehr junge Disziplin, erst recht die digitalen Medien. Wir wissen noch so wenig und haben noch so viel zu entdecken. Wir sind faktisch permanent dabei, unsere eigene Arbeitswelt immer wieder neu zu entdecken.

Designbegriff

Sie haben gerade die Disziplin Design angesprochen. Per se ist das erst mal eine relativ weite Disziplin. Können Sie Ihren Designbegriff in wenigen Worten formulieren?

Das ist tatsächlich nicht ganz einfach. Wenn mich meine Studierenden nach einer Definition fragen, dann vermittle ich die Schwierigkeit oft, indem ich den Spieß umdrehe. Kurz vor Weihnachten gebe ich ihnen gern eine Vorwarnung mit auf den Weg: Wenn sie an Heiligabend mit ihren Eltern am Tisch sitzen, dann wollen diese gern wissen was sie machen. Die erste, stolze Vermutung: „Du zeichnest ja gut“. Darauf gibt es meist eine ehrliche Antwort: „Nein, eigentlich nicht so“. „Aber du machst doch Werbung?“. „Nein, Werbung eigentlich auch nicht“. Danach wird es stiller, denn es ist sehr schwer zu erläutern, was man als angehender Designer/in eigentlich so treibt. Und nach dem dritten erläuternden Satz hört ohnehin keiner mehr zu. Das zeigt sehr schön, wie schwer die Vermittlung unseres Tuns ist. Das kommt daher, dass das tradierte Bild eines Gestalters oder einer Gestalterin nicht mehr wirklich greift. Unser Beruf hat sich verändert, ist viel wissenschaftlicher geworden und diese Veränderung ist in weiten Bereichen begrifflich noch nicht wirklich erfasst. Bei meinen Studierenden wähle ich als Berufsbezeichnung oft den Begriff „Visueller Ingenieur“. Das ist ein Ausdruck, der in zweierlei Hinsicht unsere Tätigkeit ganz gut beschreibt. Der eine Aspekt erklärt sich fast von selbst: als Designer nutzen auch wir Werkzeuge und Prozesse zur Lösung von Aufgaben – aber nicht rechnerisch, sondern visuell. Der andere Punkt ist die Art und Weise der Annäherung an ein Problem. Ganz ähnlich wie Ingenieure lösen wir unsere Themen durch Versuche und den richtigen Gebrauch unserer Tools. Insofern trifft der Vergleich mit den Ingenieurswissenschaften zumindest an der Oberfläche und ich persönlich fühle mich mit dieser Beschreibung auch ganz wohl – wenngleich sich die Öffentlichkeit darunter oft noch viel weniger vorstellen kann. Aber damit müssen wir im Moment wohl leben.
Die Bezeichnung der Ingenieurin oder des Ingenieurs für die prozessuale Arbeit der Designerin oder des Designers finde ich ziemlich treffend. Das ›Visuelle‹ schließt allerdings auch viel aus.

Oder schließt viel ein. Das kann man sehen, wie man will. Die Ingenieurin oder der Ingenieur profitieren von dem Vorteil, auf eine verlässliche Wissenschaft zurückzugreifen, wenn es um die Lösung von Aufgaben geht. Dass es eine vergleichbare Designwissenschaft so nicht gibt, könnte man als Nachteil empfinden. Allerdings erschließen sich uns andere Freiräume. Wir können sehr künstlerisch an Herausforderungen herangehen und Dinge experimentell testen und ausprobieren. Diese Vorteile sollten wir nutzen und querdenken. Auch wenn dieser Begriff etwas verbraucht daherkommt, so ist er dennoch im Umgang und im Austausch mit Experten aus anderen Bereichen häufig sehr willkommen. Es wird begrüßt, dass die Designerin oder der Designer „anders“ auf einen Sachverhalt schaut und andere, unkonventionelle Ansätze erkennt. Wenn man sich vermitteln kann, Menschen mitnimmt und sie für so eine andere Herangehensweise begeistert, dann entsteht in aller Regel ein fruchtbares Spannungsfeld mit großartigen Perspektiven und neuen Ideen.

Inkludiert Ihr Designbegriff Bereiche, an die man im ersten Moment vielleicht nicht denkt? Oder gibt es Bereiche, die auf keinen Fall dazugehören?

Ich glaube es gibt fast kein Thema, bei dem wir nicht ein willkommener Dialogpartner sind – häufig im Zusammenhang mit den neuen Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung. Wir erleben das an unserer Fakultät im Masterprogramm. Dort müssen die Studierenden einen großen Anteil ihrer ECTS-Punkte an anderen Hochschulen erwirtschaften, und dort übrigens auch Prüfungen schreiben. Jemand, der sich mit einem Medizinthema beschäftigt, besucht dann vielleicht über die Dauer eines Semesters eine Vorlesung in Anatomie. Studierende, die sich mit ökologischen Fragen auseinandersetzen, bilden sich zum Beispiel in den Grundlagen der Umwelttechnik weiter. Im Dialog mit unseren Studierenden stellen wir fest, dass durch den transdisziplinären Austausch ganz neue Themenansätze entwickelt werden und völlig andere Fragestellungen entstehen. Und am Ende erarbeiten sich die jungen Leute Projektergebnisse, die weit von dem entfernt sind, was ursprünglich angedacht war. Ich denke dieser Austausch beweist, dass man im interdisziplinären Team einfach mehr leisten kann. Wir haben es noch nie erlebt, dass Studierende die Auseinandersetzung mit anderen Experten als nicht hilfreich oder gar schlecht bewertet haben. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: nein, für mich gibt es keine Bereiche, die sich ausschließen. Wichtig aber ist, dass wir uns dabei nicht überschätzen – wir sind nicht diejenigen, die alles können. Man muss mit Respekt und Achtung ins Gespräch einsteigen, um den anderen die Chance zu geben sich zu vermitteln und einzubringen, dann funktioniert das hervorragend.

Sie würden den Begriff des Designs also nicht unbedingt als feststehend oder als final formuliert bezeichnen?

Auf gar keinen Fall. Ich bin auch nicht wirklich glücklich mit dem Begriff „Design“. Warum, werden Sie sicher auch von Kollegen an anderen Hochschulen hören: Ich glaube, es gibt kaum einen stärker verbrauchten Terminus. Der Bäcker macht „Brezeldesign“ und die goldenen Fingernägel kommen von „Naildesignern“. In englischer Sprache fällt der Gebrauch leichter, weil er mehr einschließt und dadurch auch nicht so modisch daherkommt. Hier in Deutschland sprechen wir meist von Gestaltung und von GestalterInnen. Aber wie zuvor erwähnt, erschließt sich dieser Begriff in der Öffentlichkeit kaum. Ich diskutiere oft mit meinen Kollegen aus der Theorie über dieses Problem und über alternative Berufsbezeichnungen, aber es ist nicht einfach. Sie als künftige Entwerfer werden neue Türen aufstoßen, Sie werden strategische Arbeit leisten und vordenken. Sie werden sehr viele Narrative entwickeln, sie werden Ideenwelten erschaffen, sie werden Firmen beraten und Unternehmensentwicklung betreiben. Das ist heute in guten Designbüros längst Alltag, aber wir haben immer noch keine sinnfällige Beschreibung für diese Tätigkeiten.

Im Gegensatz zum Bachelor Kommunikationsdesign heißt ihr Master Informationsdesign. Warum ist das so?

Als wir 2002 unseren Master mit viel Energie und großem Aufwand entwickelt haben, war die Titulierung des neuen Programms im Abgleich zum Bachelor von zentraler Bedeutung. Wir gebrauchen die Bezeichnung „Kommunikationsdesign“ für unseren Bachelor, was aus meiner Sicht nicht ganz ideal ist. Im Austausch mit KommunikationswissenschaftlerInnen zeigt sich schnell, dass wir im Rahmen des Designstudiums Kommunikation eigentlich nicht gestalten können. Gemeint ist natürlich das Entwerfen von Medien, die die Kommunikation möglich machen oder erleichtern. Im Gegensatz dazu fühle ich mich mit dem Begriff Informationsdesign durchaus wohl, denn das Gestalten von Informationen trifft ziemlich genau unser Tun. Aber ähnlich wie zuvor beschrieben, sorgen wir mit der Benennung „Informationsdesign“ trotzdem häufig für Verwirrung, da es gefühlt manche Bereiche ein- beziehungsweise ausschließt – die Werbung zum Beispiel. Auf der anderen Seite fühlt sich die Nähe zur klassischen Informationsgestaltung für uns durchaus richtig an. Manchmal erleben wir aber auch, dass Bewerber Informationsdesign mit digitalen Medien gleichsetzen. Das zeigt, wie unterschiedlich ein Begriff interpretiert wird. Aber vielleicht gelingt es ja Ihrer Generation, mit großer Begeisterung beschreibende Begriffe zu etablieren, die das besser einfangen. Eigentlich ist es komisch: Wir sind Designer und tun uns trotzdem so schwer, ein vernünftiges Wording zu entwickeln… in Würzburg heißt es also Kommunikationsdesign, in Schwäbisch Gmünd hieß es lange Zeit Visuelle Gestaltung, in Darmstadt Grafikdesign – und letztlich ist die Ausbildung doch überall ähnlich. Vielleicht gibt es deswegen in Deutschland auch 19.000 Studiengänge, die unterschiedlich benannt das Gleiche lehren… Schlussendlich sind das Marken. Eigentlich uninteressant.

Das heißt, der „visuelle Ingenieur“, wie Sie ihn genannt haben, kann sowohl Kommunikationsdesigner als auch Informationsdesigner oder visueller Gestalter sein?

Ja, aus meiner Sicht schon. Wir haben uns damals auch die Frage gestellt, ob wir für jeden medialen Schwerpunkt neue Studiengänge etablieren sollen. Wir haben uns bewusst dagegen entschieden – und sind heute sehr froh darüber. Es wäre in unseren Augen falsch, den einzelnen Medien so viel Bedeutung zuzumessen. Wir wollen unseren Studierenden vor allem beibringen, gestalterisch zu denken und konzeptionell zu arbeiten. Das steht in Würzburg im Vordergrund. Jeder Inhalt und jedes Thema fordert seine spezifischen Medien und dafür haben wir Schwerpunkte innerhalb des Studienganges etabliert. Neben der Theorie, der Fotografie und Bewegtbild gibt es Kommunikation im Raum, Interaktive Medien und die klassischen Bereiche im Grafikdesign. In den ersten Semestern können Studierende verschiedene Schwerpunkte frei wählen, also testen, und andere sind fest vorgegeben. So können die jungen Leute ihren Interessen nachgehen und lernen alle Bereiche mal kennen. In Ergänzung zur Lehre habe ich vor circa 15 Jahren das Steinbeis Forschungsinsitut Design und Systeme gegründet, das inzwischen fast 25 wissenschaftliche Mitarbeiter zählt – die meisten davon aus dem Design. Dort arbeiten wir fortwährend mit Wissenschaftlern aus ganz unterschiedlichen Bereichen zusammen. Interessant ist, dass meine „eigenen“ Studierenden dort oft Dinge entwickeln, die selbst ich bisweilen nicht mehr auf Anhieb verstehe, und dann muss ich – quasi umgekehrt – wieder in die Ausbildung. So entsteht ein fruchtbarer Kreislauf der u.a. dazu führt, dass die jungen Designer renommierte Forschungspreise gewinnen. Genau so muss es sein. Kombiniert mit einer solchen Initiative kann Hochschule zur inspirierenden Plattform werden, auf der sich neugierige, motivierte Menschen ideal entwickeln. Das sollte aus meiner Sicht ein vorrangiges Ziel sein. Ob die Absolventen dann Kommunikationsdesigner, Informationsdesigner oder Visuelle Gestalter heißen ist letztlich völlig egal.

Theorie & Praxis

Wir halten also fest, dass sich in der Disziplin Design einiges bewegt. Wie würden Sie dabei das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis beschreiben?
Theorie in der Designausbildung ist elementar, von zentraler Bedeutung. Leider ist der Theorieteil oft eher begleitend und nicht eng verwoben mit dem praktischen Teil der Ausbildung – so kenne ich es auch aus meiner Vergangenheit. Irgendwie mußte man sich durchquälen, wußte aber den Wert nicht richtig einzuschätzen. Wir versuchen das in Würzburg anders anzugehen – wir nutzen die Theorie beispielsweise, um den jungen Leuten die Grundlagen des wissenschaftlichen Arbeitens beizubringen. Und dann geht es in gesellschafts- und kulturtheoretischer Reflexion um die Frage, warum wir überhaupt einen Teil unserer Kreativität aus der Theorie beziehen. Woher kommt sie? Wie entsteht sie? Die Theorie liefert notwendige Vorstellungsbilder. Und diese Form des Denkens ist spannend, weil wir Gedanken aufnehmen und sie verbildlichen. Ohne Theorie, würden wir rasch an die Grenzen unseres Vorstellungsvermögens gelangen. Sie „nährt“ die „Kreativitätsmaschine“ in unserem Kopf und ist deswegen essenzieller Bestandteil des Designs.
Sie würden also sagen, dass die Designtheorie einen mittelbaren oder gar unmittelbaren Einfluss auf die Praxis hat?
Ja, definitiv.
Mit neuen Themen, die in unsere Disziplin drängen, können sich Chancen auftun. Etwa, dass wir freier gestalten können. Gibt es auch Risiken, die Sie sehen?

Ja, eindeutig. Wir erleben augenblicklich ein sich mehr und mehr abbildendes Problem. Sie haben wahrscheinlich alle im Rahmen ihres Studiums McLuhan gelesen und dort gelernt, dass das Medium die Message ist. Es ist tatsächlich so. In der Diskussion über digitale Medien begeistert uns die Technik offensichtlich mehr als der Inhalt. Wir können uns kaum freimachen von dieser Faszination und laufen faktisch immer nur den technologischen Neuerungen hinterher. Das verursacht zunehmend ein Problem. Jetzt, wo wir uns mal wieder etwas hinter dem digitalen Hype befinden, bemerken selbst junge Menschen, dass es nicht immer cool ist, wenn das Smartphone sich permanent aufdrängt und viel Zeit des Lebens in Anspruch nimmt. Es stellt sich eine digitale Ermüdung ein und man beginnt den Wert von Applikationen kritischer zu hinterfragen. Wir müssen lernen, uns ein Stück weit von der Technologie zu emanzipieren und den eigentlichen Mehrwert digitaler Medien neu zu interpretieren. Ich befürchte ansonsten, dass wir auf dem besten Weg sind, an den Bedürfnissen des Menschen vorbei zu entwickeln. Sie kennen das sicherlich auch, dass man nach acht oder neun Stunden am Schreibtisch zwar das Gefühl hat viel gearbeitet zu haben, sich aber dennoch fragt, was man eigentlich gemacht hat und welcher Ertrag entstanden ist. Die Rendite unserer Arbeitsleistung kann durch die Digitalisierung sehr negativ ausfallen. Übrigens hilft und unterstützt uns die Theorie bei dieser Diskussion entscheidend.

Mittel & Methoden

Auf welche konkreten Mittel und Methoden können wir Ihrer Meinung nach zurückgreifen, um diesen Risiken zu begegnen?

Anthropologie und Soziologie. Wir müssen den Menschen studieren. Wir müssen lernen, was uns hilft und was uns guttut. Es gibt Beispiele, die meine Aussage unterstreichen. Ihrer Generation wird vorgeworfen, nicht mehr zu lesen. Bei Schulbüchern kann die Qual besonders groß sein und nur wenige Schüler können sich Inhalte vollumfänglich merken, auch wenn es nur wenige Seiten sind. Dann fahren sie in den Urlaub, lesen einen Roman und können ihn kaum weglegen. Die Geschichte verschlingt sie und Stunde um Stunde vergeht. Sie können selbst kleinste Details inhaltlich wiedergeben und bildhaft beschreiben. Sie können es sich über Tage hinweg merken. Sie scheinen in eine unglaublich bebilderte Traumwelt einzutreten, die sie packt und festhält – das ist doch verblüffend. Es ist dasselbe Gehirn und das gleiche Medium. Es ist ein Buch mit weißen Seiten und schwarzen Buchstaben, selbst die Interaktion ist die Gleiche. Einmal funktioniert die Wahrnehmung und einmal streikt sie. Es scheint eine Ebene zu geben, die zwischen dem Buch und unserem Gehirn steht: das Narrativ, die Story oder allgemein die Information – wie auch immer man es nennen mag. Und genau in diese Ebene müssen wir eingreifen, dort müssen wir arbeiten. Gleichzeitig kämpfen wir heute gegen eine Informationsüberlastung, die uns ermüdet und uns unserer Vorstellungskraft und Fantasie beraubt. Wir haben also in erster Linie ein inhaltliches Problem und kein mediales oder technisches. Als Designer bearbeiten wir Kommunikations- und Informationsaufgaben, und wir werden sie mit den Medien lösen, die uns zur Verfügung stehen. Wenn wir in zehn Jahren alles mit Hologrammen machen, dann damit. Und wenn wir in zwanzig Jahren das Gefühl haben, dass ein Plakat immer noch großartig ist, dann hat das seine Richtigkeit. Deswegen ist die Mediendiskussion eigentlich hinfällig.

Vielleicht müsste es dann auch eher eine mediensoziologische Diskussion sein; gerade, wenn man den Bereich zwischen Subjekt und Medium studieren will.

Ja, das ist so. Wenn Sie sich die Ausbildung der HfG Ulm ansehen, dann wurde vieles von dem was ich angesprochen habe dort bereits gelehrt. Manches haben wir heute aus den Augen verloren, manches hat sich einfach gesellschaftlich verändert. Ich will Ulm nicht glorifizieren, aber für so manche Diskussionen wäre die HfG auch heute noch ein gutes Beispiel. Das trifft sicher auch auf die von Ihnen angesprochenen soziologischen Diskussionen zu.
Gibt es für Sie obligatorische Voraussetzung für eine gute transdisziplinäre Lehre, beispielsweise in die Geisteswissenschaften hinein; infrastrukturelle oder curriculare Voraussetzung, die eine Hochschule Studierenden bereitstellen oder ermöglichen kann?

Zeit. Ich glaube, man muss Studierenden wieder beibringen, was es heißt zu studieren – gerade auch im Design. Das ist von wesentlicher Bedeutung. Die Kultusminister der jeweiligen Länder waren nicht klug beraten, als sie die Schuldauer verkürzt haben. Das hat dazu geführt, dass die jungen Menschen viel zu früh an die Hochschulen kommen. Meiner Meinung nach bringt das im Rahmen eines Studiums überhaupt keinen Vorteil. Junge Menschen benötigen Zeit, um nachzudenken. Sie brauchen Zeit, um sich zu finden und sich zu orientieren. Und sie brauchen Zeit, um Fragen zu stellen – was leider immer weniger geschieht. Und deswegen fällt es den jungen Leuten auch so schwer, Entscheidungen zu treffen. Eine Welt voller Angebote sorgt dafür, dass Orientierung verlorengeht. Deswegen glaube ich, dass „Zeit“ ganz wesentlich ist, nicht Technik. Technik ist eine Variable, die auch künftig von ambitionierten Lehrenden umfassend vermittelt wird. Sich allerdings die Frage zu stellen, was man mit der Technik sinnvoll anfangen will, wo der Mehrwert liegt und wie man sie menschengerecht nutzt sind Fragen, die Zeit und Ausdauer und Leidenschaft brauchen.

Die also Reflexionsräume brauchen…
Reflexion – genau, völlig richtig.

Kompetenzen

Wäre eine reflektierte Haltung gegenüber sich selbst und gegenüber der eigenen Disziplin dann auch eine Kernkompetenz?

Ja, und zwar nicht nur im Design. Ich glaube, das trifft auf fast alle Berufe zu. Sie haben sicherlich Kommilitoninnen und Kommilitonen, die sie fachlich schätzen. Wenn sie deren Befähigung bewerten, dann fällt Ihnen auf, das diese erst mal nicht zwingend mit einer technologischen Kompetenz zu tun haben. Oft sind es in erster Linie interessante, neugierige, leidenschaftliche und intelligente Personen. Das gilt in vielen Bereichen: ein talentierter Architekt wird dann besonders erfolgreich sein, wenn er eine hohe Vermittlungskompetenz hat. Ein Arzt ist dann ein besonders guter Arzt, wenn er Ihnen sehr eindrücklich und sehr verständlich vermitteln kann, was Ihr Problem ist. Man muss sich also mit den Menschen beschäftigen und ihnen das Komplexe des eigenen Tuns zugänglich machen. Das hat also in allen Berufen eine Wichtigkeit, und im Design allemal.

Andere Disziplinen herzunehmen und zu erkennen, welche Kompetenzen die Akteure in diesen Bereichen jeweils mitbringen müssen, ist ja auch schon ein sehr transdisziplinärer Reflexionsprozess.

Genau, absolut. Ohne wird es nicht gehen. Die Welt ist so komplex – wenn wir nicht lernen die Köpfe zusammenzustecken, dann werden wir uns im Kreis bewegen. Dafür brauchen wir auch keine Wissenschaft mehr bemühen, das wissen wir inzwischen. Und so entstehen auch ganz klar die interessanten Themen.

Wenn wir es richtigmachen, werden wir dann eher SpezialistInnen oder eher UniversalistInnen?
Das ist die große Frage, die man im Design schon immer diskutiert hat… Ich glaube ein bisschen beides. Und das sage ich jetzt nicht, um der Frage auszuweichen. In gewisser Hinsicht können sie eine Spezialisierung gar nicht verhindern. Schließlich werden sie große Energie verspüren, sich mit Dingen zu beschäftigen, die sie interessieren. Wenn sie total begeistert von Virtual Reality sind, dann werden sie viel Energie in das Lesen von Fachartikeln und Büchern investieren. Und sie werden prüfen, was technologisch möglich ist – das macht sie zu SpezialistInnen. Der Generalist erhält sich eine Art „Weltneugier“ auf Dinge, die rechts und links passieren. Und aus dieser Analyse heraus können sie leicht verstehen, warum beides wichtig ist. Ich persönlich habe im Moment eine große Leidenschaft für medizinische Themen. Ich schätze das Gefühl, einen sinnvollen Beitrag leisten zu dürfen mit dem was ich tue. Natürlich aber erfordert dies eine Spezialisierung, um Sachverhalte zu verstehen und sich mit Experten aus diesem Bereich verständigen zu können. Geht es aber innerhalb einer medizinischen Auseinandersetzung um die Erarbeitung neuer Potenziale und Sichtweisen, dann hilft ein eher universeller Blickwinkel.

Designlehre

Wir haben nun versucht, den Designbegriff fassbarer zu machen, haben über Herausforderungen und Risiken für unsere Disziplin gesprochen und versucht, die Frage Spezialist oder Universalist zu klären. Darauf aufbauend würde ich Sie gerne fragen, welche Herausforderungen für die Lehre Sie momentan am konkretesten sehen?

Das ist eine gute Frage – und ein Thema, mit dem wir uns permanent beschäftigen müssen. Ausbildung bedeutet nicht nur auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren und diese rasch curricular abzubilden. Eine vitale Lehre beschäftigt sich auch mit der Frage, wie das Berufsbild in zehn Jahren aussehen könnte. Das sollte regelmäßig diskutiert werden – und medienbefreit. Wie bereits erwähnt ändern sich Technologien ständig und dürfen deshalb nicht zum Kern einer Ausbildung werden. Es ist wichtig, jungen Leuten vor allem das gestalterische Denken beizubringen… ein kritisches Denken, das sich am Menschen orientiert. Das ist auch der Grund, warum eine enge Verzahnung von Theorie und Praxis so elementar ist – ohne würde das gar nicht gehen. Der Gestalter als reiner Formalästhet scheint mir in der heutigen Austauschbarkeit nicht mehr zeitgemäß und kein Zukunftsmodell zu sein. Aber gleichzeitig haben junge Menschen das Recht von einer Ausbildung zu erwarten, dass sie in zehn Jahren in ihrem Beruf Geld verdienen. Wir sollten das freie Denken lehren, damit Studierende die Kraft finden, Dinge selbst in die Hand zu nehmen und daraus Arbeit zu erschaffen. Proaktives Entwerfen also, das die traditionelle Rolle des Dienstleisters ergänzen oder gar ersetzen wird.

Wie bereit sind die Studierenden, gerade auch aus den unteren Semestern, frei zu denken?
Freies Denken braucht Zeit. Wenn man jungen Menschen keine Zeit gibt, dann werden sie auch nicht kreativ arbeiten lernen. Gerade im Grundstudium besteht daher ein großer Teil unserer Arbeit darin, ein Gefühl für diese Freiräume entstehen zu lassen. Allerdings neigt ein zeitlich komprimierter Bachelor dazu, die Zeitfenster wieder stark einzugrenzen. Im Master gelingt uns das bisweilen besser, auch wenn wir hier und da erleben, dass die großen Zeiträume so manche Studierende ein wenig überfordern.
Für mich klang es auch nach einer großen Aufgabe, sich mit einer eigenen Forschungsfrage auf den Master zu bewerben – so wie es hier nötig ist.
Ja, das ist sicher eine Herausforderung.
Kann man die Aufgabe überhaupt auf Anhieb lösen?

Es geht gar nicht darum, dass man etwas auf Anhieb richtig macht. Wichtiger ist es für die Studierenden zu lernen, die Konsequenzen eigener Entscheidungen zu reflektieren und die gewonnenen Erkenntnisse immer wieder zu evaluieren. Darin liegt ein großer Lerneffekt – man macht und man entdeckt, man verwirft und verwirklicht. In der andauernden Auseinandersetzung mit einem eigenen Thema wächst die Begeisterung und die Leidenschaft und das ist möglicherweise das wichtigste in einem Designprozess. Wenn es uns als Lehrende gelingt, die Studierenden in ihrem Vorhaben nicht einzuschränken, sondern sie zu unterstützen und zu motivieren, dann geht selten etwas schief.

Vielen Dank für dieses perfekte Schlusswort und für das Gespräch!

Sehr gerne!