Erich Schöls
Professor für Interaktive Medien
Fakultät Gestaltung Würzburg
Kurzbeschreibung
Das Gespräch mit Erich Schöls führte Dominik Volz am 17.10.2019 an der FH Würzburg-Schweinfurt.
Motivation
Designbegriff
Sie haben gerade die Disziplin Design angesprochen. Per se ist das erst mal eine relativ weite Disziplin. Können Sie Ihren Designbegriff in wenigen Worten formulieren?
Oder schließt viel ein. Das kann man sehen, wie man will. Die Ingenieurin oder der Ingenieur profitieren von dem Vorteil, auf eine verlässliche Wissenschaft zurückzugreifen, wenn es um die Lösung von Aufgaben geht. Dass es eine vergleichbare Designwissenschaft so nicht gibt, könnte man als Nachteil empfinden. Allerdings erschließen sich uns andere Freiräume. Wir können sehr künstlerisch an Herausforderungen herangehen und Dinge experimentell testen und ausprobieren. Diese Vorteile sollten wir nutzen und querdenken. Auch wenn dieser Begriff etwas verbraucht daherkommt, so ist er dennoch im Umgang und im Austausch mit Experten aus anderen Bereichen häufig sehr willkommen. Es wird begrüßt, dass die Designerin oder der Designer „anders“ auf einen Sachverhalt schaut und andere, unkonventionelle Ansätze erkennt. Wenn man sich vermitteln kann, Menschen mitnimmt und sie für so eine andere Herangehensweise begeistert, dann entsteht in aller Regel ein fruchtbares Spannungsfeld mit großartigen Perspektiven und neuen Ideen.
Ich glaube es gibt fast kein Thema, bei dem wir nicht ein willkommener Dialogpartner sind – häufig im Zusammenhang mit den neuen Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung. Wir erleben das an unserer Fakultät im Masterprogramm. Dort müssen die Studierenden einen großen Anteil ihrer ECTS-Punkte an anderen Hochschulen erwirtschaften, und dort übrigens auch Prüfungen schreiben. Jemand, der sich mit einem Medizinthema beschäftigt, besucht dann vielleicht über die Dauer eines Semesters eine Vorlesung in Anatomie. Studierende, die sich mit ökologischen Fragen auseinandersetzen, bilden sich zum Beispiel in den Grundlagen der Umwelttechnik weiter. Im Dialog mit unseren Studierenden stellen wir fest, dass durch den transdisziplinären Austausch ganz neue Themenansätze entwickelt werden und völlig andere Fragestellungen entstehen. Und am Ende erarbeiten sich die jungen Leute Projektergebnisse, die weit von dem entfernt sind, was ursprünglich angedacht war. Ich denke dieser Austausch beweist, dass man im interdisziplinären Team einfach mehr leisten kann. Wir haben es noch nie erlebt, dass Studierende die Auseinandersetzung mit anderen Experten als nicht hilfreich oder gar schlecht bewertet haben. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: nein, für mich gibt es keine Bereiche, die sich ausschließen. Wichtig aber ist, dass wir uns dabei nicht überschätzen – wir sind nicht diejenigen, die alles können. Man muss mit Respekt und Achtung ins Gespräch einsteigen, um den anderen die Chance zu geben sich zu vermitteln und einzubringen, dann funktioniert das hervorragend.
Auf gar keinen Fall. Ich bin auch nicht wirklich glücklich mit dem Begriff „Design“. Warum, werden Sie sicher auch von Kollegen an anderen Hochschulen hören: Ich glaube, es gibt kaum einen stärker verbrauchten Terminus. Der Bäcker macht „Brezeldesign“ und die goldenen Fingernägel kommen von „Naildesignern“. In englischer Sprache fällt der Gebrauch leichter, weil er mehr einschließt und dadurch auch nicht so modisch daherkommt. Hier in Deutschland sprechen wir meist von Gestaltung und von GestalterInnen. Aber wie zuvor erwähnt, erschließt sich dieser Begriff in der Öffentlichkeit kaum. Ich diskutiere oft mit meinen Kollegen aus der Theorie über dieses Problem und über alternative Berufsbezeichnungen, aber es ist nicht einfach. Sie als künftige Entwerfer werden neue Türen aufstoßen, Sie werden strategische Arbeit leisten und vordenken. Sie werden sehr viele Narrative entwickeln, sie werden Ideenwelten erschaffen, sie werden Firmen beraten und Unternehmensentwicklung betreiben. Das ist heute in guten Designbüros längst Alltag, aber wir haben immer noch keine sinnfällige Beschreibung für diese Tätigkeiten.
Als wir 2002 unseren Master mit viel Energie und großem Aufwand entwickelt haben, war die Titulierung des neuen Programms im Abgleich zum Bachelor von zentraler Bedeutung. Wir gebrauchen die Bezeichnung „Kommunikationsdesign“ für unseren Bachelor, was aus meiner Sicht nicht ganz ideal ist. Im Austausch mit KommunikationswissenschaftlerInnen zeigt sich schnell, dass wir im Rahmen des Designstudiums Kommunikation eigentlich nicht gestalten können. Gemeint ist natürlich das Entwerfen von Medien, die die Kommunikation möglich machen oder erleichtern. Im Gegensatz dazu fühle ich mich mit dem Begriff Informationsdesign durchaus wohl, denn das Gestalten von Informationen trifft ziemlich genau unser Tun. Aber ähnlich wie zuvor beschrieben, sorgen wir mit der Benennung „Informationsdesign“ trotzdem häufig für Verwirrung, da es gefühlt manche Bereiche ein- beziehungsweise ausschließt – die Werbung zum Beispiel. Auf der anderen Seite fühlt sich die Nähe zur klassischen Informationsgestaltung für uns durchaus richtig an. Manchmal erleben wir aber auch, dass Bewerber Informationsdesign mit digitalen Medien gleichsetzen. Das zeigt, wie unterschiedlich ein Begriff interpretiert wird. Aber vielleicht gelingt es ja Ihrer Generation, mit großer Begeisterung beschreibende Begriffe zu etablieren, die das besser einfangen. Eigentlich ist es komisch: Wir sind Designer und tun uns trotzdem so schwer, ein vernünftiges Wording zu entwickeln… in Würzburg heißt es also Kommunikationsdesign, in Schwäbisch Gmünd hieß es lange Zeit Visuelle Gestaltung, in Darmstadt Grafikdesign – und letztlich ist die Ausbildung doch überall ähnlich. Vielleicht gibt es deswegen in Deutschland auch 19.000 Studiengänge, die unterschiedlich benannt das Gleiche lehren… Schlussendlich sind das Marken. Eigentlich uninteressant.
Ja, aus meiner Sicht schon. Wir haben uns damals auch die Frage gestellt, ob wir für jeden medialen Schwerpunkt neue Studiengänge etablieren sollen. Wir haben uns bewusst dagegen entschieden – und sind heute sehr froh darüber. Es wäre in unseren Augen falsch, den einzelnen Medien so viel Bedeutung zuzumessen. Wir wollen unseren Studierenden vor allem beibringen, gestalterisch zu denken und konzeptionell zu arbeiten. Das steht in Würzburg im Vordergrund. Jeder Inhalt und jedes Thema fordert seine spezifischen Medien und dafür haben wir Schwerpunkte innerhalb des Studienganges etabliert. Neben der Theorie, der Fotografie und Bewegtbild gibt es Kommunikation im Raum, Interaktive Medien und die klassischen Bereiche im Grafikdesign. In den ersten Semestern können Studierende verschiedene Schwerpunkte frei wählen, also testen, und andere sind fest vorgegeben. So können die jungen Leute ihren Interessen nachgehen und lernen alle Bereiche mal kennen. In Ergänzung zur Lehre habe ich vor circa 15 Jahren das Steinbeis Forschungsinsitut Design und Systeme gegründet, das inzwischen fast 25 wissenschaftliche Mitarbeiter zählt – die meisten davon aus dem Design. Dort arbeiten wir fortwährend mit Wissenschaftlern aus ganz unterschiedlichen Bereichen zusammen. Interessant ist, dass meine „eigenen“ Studierenden dort oft Dinge entwickeln, die selbst ich bisweilen nicht mehr auf Anhieb verstehe, und dann muss ich – quasi umgekehrt – wieder in die Ausbildung. So entsteht ein fruchtbarer Kreislauf der u.a. dazu führt, dass die jungen Designer renommierte Forschungspreise gewinnen. Genau so muss es sein. Kombiniert mit einer solchen Initiative kann Hochschule zur inspirierenden Plattform werden, auf der sich neugierige, motivierte Menschen ideal entwickeln. Das sollte aus meiner Sicht ein vorrangiges Ziel sein. Ob die Absolventen dann Kommunikationsdesigner, Informationsdesigner oder Visuelle Gestalter heißen ist letztlich völlig egal.
Theorie & Praxis
Ja, eindeutig. Wir erleben augenblicklich ein sich mehr und mehr abbildendes Problem. Sie haben wahrscheinlich alle im Rahmen ihres Studiums McLuhan gelesen und dort gelernt, dass das Medium die Message ist. Es ist tatsächlich so. In der Diskussion über digitale Medien begeistert uns die Technik offensichtlich mehr als der Inhalt. Wir können uns kaum freimachen von dieser Faszination und laufen faktisch immer nur den technologischen Neuerungen hinterher. Das verursacht zunehmend ein Problem. Jetzt, wo wir uns mal wieder etwas hinter dem digitalen Hype befinden, bemerken selbst junge Menschen, dass es nicht immer cool ist, wenn das Smartphone sich permanent aufdrängt und viel Zeit des Lebens in Anspruch nimmt. Es stellt sich eine digitale Ermüdung ein und man beginnt den Wert von Applikationen kritischer zu hinterfragen. Wir müssen lernen, uns ein Stück weit von der Technologie zu emanzipieren und den eigentlichen Mehrwert digitaler Medien neu zu interpretieren. Ich befürchte ansonsten, dass wir auf dem besten Weg sind, an den Bedürfnissen des Menschen vorbei zu entwickeln. Sie kennen das sicherlich auch, dass man nach acht oder neun Stunden am Schreibtisch zwar das Gefühl hat viel gearbeitet zu haben, sich aber dennoch fragt, was man eigentlich gemacht hat und welcher Ertrag entstanden ist. Die Rendite unserer Arbeitsleistung kann durch die Digitalisierung sehr negativ ausfallen. Übrigens hilft und unterstützt uns die Theorie bei dieser Diskussion entscheidend.
Mittel & Methoden
Anthropologie und Soziologie. Wir müssen den Menschen studieren. Wir müssen lernen, was uns hilft und was uns guttut. Es gibt Beispiele, die meine Aussage unterstreichen. Ihrer Generation wird vorgeworfen, nicht mehr zu lesen. Bei Schulbüchern kann die Qual besonders groß sein und nur wenige Schüler können sich Inhalte vollumfänglich merken, auch wenn es nur wenige Seiten sind. Dann fahren sie in den Urlaub, lesen einen Roman und können ihn kaum weglegen. Die Geschichte verschlingt sie und Stunde um Stunde vergeht. Sie können selbst kleinste Details inhaltlich wiedergeben und bildhaft beschreiben. Sie können es sich über Tage hinweg merken. Sie scheinen in eine unglaublich bebilderte Traumwelt einzutreten, die sie packt und festhält – das ist doch verblüffend. Es ist dasselbe Gehirn und das gleiche Medium. Es ist ein Buch mit weißen Seiten und schwarzen Buchstaben, selbst die Interaktion ist die Gleiche. Einmal funktioniert die Wahrnehmung und einmal streikt sie. Es scheint eine Ebene zu geben, die zwischen dem Buch und unserem Gehirn steht: das Narrativ, die Story oder allgemein die Information – wie auch immer man es nennen mag. Und genau in diese Ebene müssen wir eingreifen, dort müssen wir arbeiten. Gleichzeitig kämpfen wir heute gegen eine Informationsüberlastung, die uns ermüdet und uns unserer Vorstellungskraft und Fantasie beraubt. Wir haben also in erster Linie ein inhaltliches Problem und kein mediales oder technisches. Als Designer bearbeiten wir Kommunikations- und Informationsaufgaben, und wir werden sie mit den Medien lösen, die uns zur Verfügung stehen. Wenn wir in zehn Jahren alles mit Hologrammen machen, dann damit. Und wenn wir in zwanzig Jahren das Gefühl haben, dass ein Plakat immer noch großartig ist, dann hat das seine Richtigkeit. Deswegen ist die Mediendiskussion eigentlich hinfällig.
Vielleicht müsste es dann auch eher eine mediensoziologische Diskussion sein; gerade, wenn man den Bereich zwischen Subjekt und Medium studieren will.
Zeit. Ich glaube, man muss Studierenden wieder beibringen, was es heißt zu studieren – gerade auch im Design. Das ist von wesentlicher Bedeutung. Die Kultusminister der jeweiligen Länder waren nicht klug beraten, als sie die Schuldauer verkürzt haben. Das hat dazu geführt, dass die jungen Menschen viel zu früh an die Hochschulen kommen. Meiner Meinung nach bringt das im Rahmen eines Studiums überhaupt keinen Vorteil. Junge Menschen benötigen Zeit, um nachzudenken. Sie brauchen Zeit, um sich zu finden und sich zu orientieren. Und sie brauchen Zeit, um Fragen zu stellen – was leider immer weniger geschieht. Und deswegen fällt es den jungen Leuten auch so schwer, Entscheidungen zu treffen. Eine Welt voller Angebote sorgt dafür, dass Orientierung verlorengeht. Deswegen glaube ich, dass „Zeit“ ganz wesentlich ist, nicht Technik. Technik ist eine Variable, die auch künftig von ambitionierten Lehrenden umfassend vermittelt wird. Sich allerdings die Frage zu stellen, was man mit der Technik sinnvoll anfangen will, wo der Mehrwert liegt und wie man sie menschengerecht nutzt sind Fragen, die Zeit und Ausdauer und Leidenschaft brauchen.
Kompetenzen
Ja, und zwar nicht nur im Design. Ich glaube, das trifft auf fast alle Berufe zu. Sie haben sicherlich Kommilitoninnen und Kommilitonen, die sie fachlich schätzen. Wenn sie deren Befähigung bewerten, dann fällt Ihnen auf, das diese erst mal nicht zwingend mit einer technologischen Kompetenz zu tun haben. Oft sind es in erster Linie interessante, neugierige, leidenschaftliche und intelligente Personen. Das gilt in vielen Bereichen: ein talentierter Architekt wird dann besonders erfolgreich sein, wenn er eine hohe Vermittlungskompetenz hat. Ein Arzt ist dann ein besonders guter Arzt, wenn er Ihnen sehr eindrücklich und sehr verständlich vermitteln kann, was Ihr Problem ist. Man muss sich also mit den Menschen beschäftigen und ihnen das Komplexe des eigenen Tuns zugänglich machen. Das hat also in allen Berufen eine Wichtigkeit, und im Design allemal.
Genau, absolut. Ohne wird es nicht gehen. Die Welt ist so komplex – wenn wir nicht lernen die Köpfe zusammenzustecken, dann werden wir uns im Kreis bewegen. Dafür brauchen wir auch keine Wissenschaft mehr bemühen, das wissen wir inzwischen. Und so entstehen auch ganz klar die interessanten Themen.
Designlehre
Das ist eine gute Frage – und ein Thema, mit dem wir uns permanent beschäftigen müssen. Ausbildung bedeutet nicht nur auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren und diese rasch curricular abzubilden. Eine vitale Lehre beschäftigt sich auch mit der Frage, wie das Berufsbild in zehn Jahren aussehen könnte. Das sollte regelmäßig diskutiert werden – und medienbefreit. Wie bereits erwähnt ändern sich Technologien ständig und dürfen deshalb nicht zum Kern einer Ausbildung werden. Es ist wichtig, jungen Leuten vor allem das gestalterische Denken beizubringen… ein kritisches Denken, das sich am Menschen orientiert. Das ist auch der Grund, warum eine enge Verzahnung von Theorie und Praxis so elementar ist – ohne würde das gar nicht gehen. Der Gestalter als reiner Formalästhet scheint mir in der heutigen Austauschbarkeit nicht mehr zeitgemäß und kein Zukunftsmodell zu sein. Aber gleichzeitig haben junge Menschen das Recht von einer Ausbildung zu erwarten, dass sie in zehn Jahren in ihrem Beruf Geld verdienen. Wir sollten das freie Denken lehren, damit Studierende die Kraft finden, Dinge selbst in die Hand zu nehmen und daraus Arbeit zu erschaffen. Proaktives Entwerfen also, das die traditionelle Rolle des Dienstleisters ergänzen oder gar ersetzen wird.
Es geht gar nicht darum, dass man etwas auf Anhieb richtig macht. Wichtiger ist es für die Studierenden zu lernen, die Konsequenzen eigener Entscheidungen zu reflektieren und die gewonnenen Erkenntnisse immer wieder zu evaluieren. Darin liegt ein großer Lerneffekt – man macht und man entdeckt, man verwirft und verwirklicht. In der andauernden Auseinandersetzung mit einem eigenen Thema wächst die Begeisterung und die Leidenschaft und das ist möglicherweise das wichtigste in einem Designprozess. Wenn es uns als Lehrende gelingt, die Studierenden in ihrem Vorhaben nicht einzuschränken, sondern sie zu unterstützen und zu motivieren, dann geht selten etwas schief.
Sehr gerne!