Bianca Herlo
Senior Researcherin fĂŒr Civic Design, Digital Sovereignty und Social Design
Design Research Lab, UDK Berlin
Kurzbeschreibung
Heute sind wir zu Gast im Design Research Lab der UdK Berlin. Die Forschungsgruppe besteht aus 20 wissenschaftlichen MitarbeiterInnen, hier werden vor allem interdisziplinĂ€re Projekte der Designforschung durchgefuÌhrt. Zielsetzung war es von Beginn an BruÌcken zwischen Technologien, Innovationen und realen Anforderungen der Menschen in ihrem Alltag zu schaffen. Durch das Lab entsteht hier an der UdK ein neuer Schwerpunkt, der die Potenziale in Forschung und Entwicklung durch und mit Design ins Zentrum stellt. Damit trĂ€gt die UniversitĂ€t einer internationalen Entwicklung Rechnung, die sich Design auch in seiner spezifischen Forschungskompetenz vorstellt und positionieren möchte. Aktuelle Themenbereiche sind BeitrĂ€ge zu neuen taktilen Interaktionsformen mit EndgerĂ€ten, Textiltechnologie, gentrifizierte Anforderungen an Kommunikationstechnologien, Konzepte der Nachhaltigkeit in lokalen Nachbarschaften und alternative Kommunikationsformen, die durch GebĂ€rdensprache und Gehörlose inspiriert sind. Sprechen duÌrfen wir heute mit Bianca Herlo. Sie ist Forscherin, Dozentin, Leiterin der Arbeitsgruppe Ungleichheit und digitale SouverĂ€nitĂ€t am Weizenbaum Institut fuÌr vernetzte Gesellschaft und stellvertretende Leiterin des Design Research Labs. Sie lehrt Design und Designtheorie an unterschiedlichen Hochschulen und ist seit 2014 auch Vorstandsmitglied der deutschen Gesellschaft fuÌr Designtheorie und Forschung.
Das GesprĂ€ch mit Bianca Herlo fĂŒhrte Niklas MĂŒnchbach am 22.10.2019 an der UDK Berlin.
Motivation
Ob das jeden Tag meine Motivation ist? Das wĂ€re ein bisschen uÌbertrieben. Es ist natuÌrlich sehr schön, innerlich zu seiner TĂ€tigkeit stehen zu können und zu versuchen, die Welt so verantwortungsvoll wie möglich zu begreifen, mitzugestalten und sich in irgendeiner Weise nuÌtzlich zu machen. Bei uns geschieht das eben nicht nur aus der Designperspektive, sondern auch aus der Designforschungsperspektive. Dennoch wĂ€re ich sehr vorsichtig mit dieser Formulierung, denn eine gute Intention heiĂt nicht unbedingt, ein gutes Ergebnis oder eine bessere Ausgangssituation. FuÌr unsere AktivitĂ€ten hier am Design Research Lab ist aber durchaus relevant, dass die meisten sich als politische Menschen verstehen und dementsprechend auch eine politische Haltung in die TĂ€tigkeit hineintragen. Dementsprechend wird auch die Disziplin Design und auch die Designforschung in diese Richtung mit gelenkt. Wir stehen vor sehr vielen neuen Herausforderung in der Gesellschaft, diese beeinflussen auch das Design, als eine von vielen Arten der kulturellen Produktion.
Designbegriff
Auf jene Herausforderungen werden wir spÀter noch zu sprechen kommen. Davor steigen wir aber mit der leichtesten Frage ein, die man einer Gestalterin und Designforscherin stellen kann. Was ist ihr persönlicher Designbegriff?
Das ist wohl ironisch, dass es die leichteste Frage ist. DaruÌber diskutiert die Disziplin, seitdem sie sich als solche schimpft, was ist Design uÌberhaupt und wie ist unser DesignverstĂ€ndnis. Je mehr Blicke darauf gerichtet werden, desto vielfĂ€ltiger wird dieses VerstĂ€ndnis. Persönlich beschreibe ich Design gerne als Round Table. Die Kompetenz, viele Perspektiven, viele Interessen, viele Akteure an einen Tisch zu bringen und Aushandlungen zu gestalten. Das kann produktorientiert sein, das kann prozessorientiert sein, das kann lösungsorientiert sein. Ich finde es fuÌr meine TĂ€tigkeit jedoch extrem wichtig, dass dabei nicht nur das Endprodukt im Mittelpunkt steht, sondern der Weg dahin â und alle Implikationen, die ein solcher Prozess mit sich bringt. Dieser Ansatz findet sich momentan in vielen Diskursen um Design als Disziplin.
WĂŒrden Sie im Umkehrschluss sagen, dass die Dinge, die nicht dafuÌr sorgen, dass wir mit anderen Disziplinen an diesem Round Table sitzen, nicht zur Disziplin gehören?
Das will ich nicht ausschlieĂen, ganz und gar nicht. Das ist lediglich der Ausschnitt, mit dem ich mich beschĂ€ftige. Design ist so vielfĂ€ltig in seinen unterschiedlichen AusprĂ€gungen, die âtraditionellenâ Design-Kompetenzen sind nach wie vor extrem relevant, und sie wurden schon immer in komplexen gesellschaftlichen Kontexten, in denen sie eingebettet sind und die sie mit bespielen, betrachtet. Es geht nicht um eine Verschiebung, die dabei BewĂ€hrtes ausschlieĂt, sondern um die Einbindung neuer DomĂ€nen, neuer Bereiche, neuer TĂ€tigkeitsfelder und dementsprechend neuer Verantwortungskontexte, die mit VerĂ€nderungen in der Gesellschaft einhergehen.
Es ist durchaus fluide und etwas, was sich immer wieder neue Beziehungen zur Wirklichkeit erschlieĂen muss. Zentral ist im Design auch, dass sowohl die Makroperspektive (also das VerstĂ€ndnis der ZusammenhĂ€nge und das Abstrahieren von dem, was inhĂ€rent im Design enthalten ist) als auch das VerstĂ€ndnis der lokalen Kontexte auf der Mikroebene, das nicht das gesamte Bild ausmacht, aber qualitativ extrem relevant ist, zusammen gedacht werden. Diese beiden Ebenen zu verbinden ist etwas, was Design kann und tun sollte.
Ja selbstverstÀndlich, es ist ja ein Teil davon. Es ist eine unglaublich wichtige Kompetenz, in komplexen Prozessen das Essenzielle vermitteln, kommunizieren und abstrahieren zu können. Dabei geht es nicht nur um KomplexitÀtsreduktion, sondern auch um das Suchen und Finden einer Narration. Unser WeltverstÀndnis baut auf Geschichten und der Art und Weise, wie wir Tatsachen zusammenstellen, auf. Ein Teil dieses Prozesses obliegt dabei dem Kommunikationsdesign.
Theorie & Praxis
Mittel & Methoden
Es muss aus beiden Richtungen kommen, zum einen sollten in der Lehre Zukunftsperspektiven, neue TĂ€tigkeitsfelder und transformative Potenziale im Design stĂ€rker thematisiert werden. Hierbei muÌssen wir beruÌcksichtigen, was im Zuge der Digitalisierung, der gesellschaftlichen VerĂ€nderungen, der groĂen Risiken, denen wir uns gegenuÌbergestellt sehen, passiert und was ökologische, aber auch soziale und ökonomische Nachhaltigkeit einschlieĂt. Auf der anderen Seite muÌssen wir stĂ€rker die Zusammenarbeit mit Institutionen und Organisation suchen, die die Arbeit in neuen TĂ€tigkeitsfeldern des Designs ermöglichen; und gleichzeitig an Unternehmen dieses neue VerstĂ€ndnis unserer Disziplin herantragen. Design Thinking hat in diesem Sinne schon hervorragende Arbeit geleistet, mit einem Label. Ich betrachte das allerdings sehr kritisch, da es einem Heilversprechen gleichkommt, das ad absurdum getrieben wird, indem, zugespitzt formuliert, ein Workshop und ein paar âZettelchenâ ein ganzes Unternehmen neu denken lĂ€sst. FuÌr uns DesignerInnen hat es nichtsdestotrotz vieles positiv beeinflusst, denn es hat sich herumgesprochen â bei den Unternehmen genauso wie bei den politischen Institutionen oder in Administrationen â dass mit Designmethoden einiges erreicht werden kann, was von uns als TuÌröffner genutzt wird. Das hilft uns manchmal, einen FuĂ in die TuÌr zu bekommen und dann, wenn wir drin sind, zu erklĂ€ren, dass wir eigentlich Designforschung machen. Das funktioniert manchmal, denn Design bedeutet momentan fuÌr die meisten auĂerhalb der Disziplin, gute Webseiten und tolle Interaktionen, Design Thinking hingegen ist etwas, bei dem man gemeinsam entwickelt und anders, experimenteller denkt. Solche Tricks muÌssen wir finden. FuÌr die Absolvierenden ist es wichtig zu wissen, dass sie Pionierarbeit leisten, aber daher auch Risiken eingehen muÌssen, wenn sie an solchen TĂ€tigkeitsfeldern interessiert sind. Das muss man thematisieren, daruÌber reflektieren, ein SelbstverstĂ€ndnis und eine eigene Positionierung wĂ€hrend des Studiums finden. Zudem halte ich es fuÌr extrem relevant, den gesellschaftlichen Impact stĂ€rker zu thematisiert und sich daruÌber bewusst zu werden, dass man mit allem einen Impact ausuÌbt. Das gilt fuÌr eine ZahnbuÌrste ebenso wie fuÌr digitale Plattformen und soziale Netzwerke, die hervorragend designt sind â so, dass sie zu einer starken AbhĂ€ngigkeit, zu Manipulation und Meinungsmache etc. fuÌhren. Und wir geben unsere Daten freizuÌgig her, weil die Erfahrungen mit den Interaktionen sehr positiv und designerisch exzellent sind. Das hilft den Big Five dabei, viel Macht zu akkumulieren, was mitunter auch in die Verantwortung von DesignerInnen fĂ€llt, das muss man mit bedenken.
Mehr Zeit, um Dinge zu reflektieren, brauchen wir immer. Ich habe noch auf Diplom studiert und empfand es als sehr bereichernd, diese Zeit zu haben bzw. mir diese Zeit nehmen zu können. Ich habe zum Beispiel ein Semester lang an einem vierminuÌtigen Kurzfilm gearbeitet â und wĂ€hrenddessen, als Kontrast, als Cutterin einer Fernsehsendung mein Geld verdient und dabei in einem unwahrscheinlich hohen Tempo gearbeitet. Das war schön absurd in der GegenuÌberstellung, aber an der Uni eben eine wirklich wertvolle Zeit fuÌr mich, in der ich 6 Monate lang an einem Kurzfilm arbeiten durfte. Mit der Aufteilung in Bachelor und Master ist alles enger getaktet, zumindest nach meiner Beobachtung der letzten Jahre. Das Studium wirkt gehetzter, das ist sehr schade, denn ich glaube, an den Hochschulen braucht man die geschuÌtzten ReflexionsrĂ€ume. Es ist eine einmalige Chance, die ich immer bevorzugen wuÌrde. Wie man allerdings einer engeren Taktung entgegenwirken kann, weiĂ nicht.
Kompetenzen
Welche Kompetenzen spielen heute, trotz der engeren Taktung, eine SchluÌsselrolle fuÌr DesignerInnen?
Zum Beispiel andere Kontexte verstehen und diese Kontexte mitteilen können, ich nenne das Ăbersetzungskompetenz. Das bedeutet fuÌr mich, eine Logik in eine andere Ebene uÌberfuÌhren zu können und sowohl fuÌr ein akademisches Publikum als auch ein nicht akademisches in der Lage zu sein, Erkenntnisse verstĂ€ndlich und angemessen zu verpacken und mitzuteilen. Auch ein interdisziplinĂ€res VerstĂ€ndnis ist fuÌr mich eine SchluÌsselkompetenz, und das Einlassen auf andere, nicht nur emphatisch, sondern das Verstehen, was dem GegenuÌber wichtig ist und eine gemeinsame Intention finden. Momentan wird viel uÌber Empathie gesprochen, das ist auch wichtig â aber es ist nicht alles, denn das Verstehen der emotionalen Ebene geht weiter als ein empathisches GefuÌhl. Die Kompetenz des Verstehens von Interessen und ZusammenhĂ€ngen und das gemeinsame Adressieren dessen muss, wie viele andere Kompetenzen auch, erlernt werden.
Ich bin der Meinung, wir sind sowieso schon Universalisten. Am Ende
eines klassischen Designstudiums weiĂ man nicht wirklich, was man
eigentlich kann, im Sinne eines Spezialwissens. Es gibt viele sehr spezialisierte
Disziplinen wie das Ingenieurwesen, die Musikwissenschaft und
so weiter, Design hingegen kann, zugespitzt formuliert, ein bisschen was
von allem. Das ist also bereits vorhanden und kann auch eine StÀrke sein.
Nach dem Studium oder im Master kann man sich dann spezialisieren,
eine stĂ€rkere Ăffnung ist daher sicher gut. Jeder muss einen Weg fuÌr sich
finden, wichtig an der Ausbildung ist, genau diesen Findungsprozess angemessen
zu unterstuÌtzen und zu ermöglichen. Zudem wĂ€re es wichtig,
diese StÀrke auch als solche zu kommunizieren. DesignerInnen haben die
FĂ€higkeit und das Instrumentarium, sich in Kontexte und neue Themen
schnell einzudenken und ein VerstÀndnis aufzubauen, auch wenn es davor
keine BeruÌhrungspunkte gab.
Designlehre
Ich sehe die gröĂte Herausforderung darin, Studierenden genuÌgend Raum zu lassen, um herausfinden zu können, wo sie hingehören und wie sie sich wahrnehmen, um sich im Studium zu positionieren und dahingehend relevante (Neben-)FĂ€cher zu wĂ€hlen. Eine zweite groĂe Herausforderung ist die ZusammenfuÌhrung von Theorie und Praxis, also Theorie als etwas zu verstehen, was nicht absolviert werden muss, sondern Theorie als etwas zu begreifen, das grundsĂ€tzlich dabei hilft, uÌber Prozesse nachzudenken und dazu beitrĂ€gt, ein VerstĂ€ndnis fuÌr sich und fuÌr seine Arbeit zu entwickeln. Das ist nicht einfach und fuÌr Lehrende natuÌrlich viel aufwendiger.
Ethik & Moral
Genau und auch um zu verstehen, soweit wir das uÌberhaupt begreifen können, was unser Handeln fuÌr Konsequenzen haben kann. Der Versuch sollte unternommen werden, das zu begreifen. Ob innerhalb eines Unternehmens, eines Forschungsinstituts oder eines Ministeriums, es gibt viel SpielrĂ€ume, egal, was von dir erwartet und verlangt wird. Das zu begreifen, schon im Vorfeld zu erfahren, wie viel Entscheidungsmacht wir eigentlich haben, trotz Ă€uĂerer ZwĂ€nge, ist essenziell. Es gibt tausende von GruÌnden wie Geldnot, strenge Regulation oder Vorgesetzte, um Verantwortung abzugeben. Deshalb ist es wichtig, ein Selbstbewusstsein bei den Studierenden zu fördern, dass sie â egal, in welchem Kontext â Handlungs- und EntscheidungsspielrĂ€ume haben. Letztlich also ein politisches Bewusstsein fördern. Zu lehren, dass Design per se politisch ist, ob bewusst oder nicht, und umso bewusster, umso besser, wĂ€re ein groĂer Fortschritt fuÌr die Disziplin.