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Anke Haarmann

Professorin für Designtheorie & Designforschung
Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg

Kurzbeschreibung

Sehr geehrte Frau Haarmann, wir freuen uns sehr, dass wir hier an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Hamburg sein dürfen. Sie sind hier Professorin für Designtheorie und Designforschung, führen die Leitung des Department Design, sind Prodekanin der Fakultät, Mitglied des Studienreformausschusses und zudem Gründerin und Leiterin des Zentrums für Designforschung. Ihre Forschungsarbeit und Publikationsschwerpunkte finden sich in der künstlerischen Forschung, Designforschung, Epistemologie, Theorie der Gestaltung und visuellen Kultur und im öffentlichen Raum. Zudem arbeiten Sie als Konzeptkünstlerin und Kuratorin und werden regelmäßig zu Vorträgen im In- und Ausland eingeladen. Ursprünglich haben Sie Philosophie, Literatur und Ethnologie an der Uni Hamburg und der Freien Universität Berlin studiert und ebenso Freie Kunst an der Kunsthochschule in Lerchenfeld. Promoviert haben Sie in Philosophie an der Universität Potsdam. Seitdem hatten und haben Sie viele Lehraufträge an verschiedenen Institutionen im In- und Ausland, beispielsweise an der Universität Kyoto. Dass sich dieses Spektrum auszeichnet, zeigt sich daran, dass Sie dieses Jahr für ihre hohe fachliche und didaktische Kompetenz den Hamburger Lehrpreis erhalten haben.

Das Gespräch mit Anke Haarmann führte Yannick Marszalek am 24.10.2019 an der HAW Hamburg.

Motivation

Angesichts dieser Vielfalt an Tätigkeiten und Forschungsschwerpunkten würde ich gerne mit einer persönlichen Frage einsteigen: Was motiviert Sie dazu, in diesem breiten Tätigkeitsfeld zu arbeiten und jeden Tag dafür aufzustehen?

Warum ich jeden Tag aufstehe, ist eine gute Frage. Aber zum breiten Tätigkeitsfeld: Ich finde das gar nicht so breit, weil ich immer wieder zusammenhängende Kernfragestellungen oder Praktiken in diesen verschiedenen Tätigkeitsfeldern entdecke. Ich habe Philosophie studiert und promoviert und hatte dabei schon immer ein großes Interesse daran, mich mit Wissensformen und auch den Praktiken des Denkens auseinanderzusetzen. Ich habe Kunst studiert, als Künstlerin gearbeitet, viele Projekte gemacht und bei diesen Projekten ging es immer wieder darum, sich damit auseinandersetzen, warum Menschen denken und was sie denken. Das waren in der Kunst dann natürlich weniger abstrakte Herangehensweisen als in der Philosophie. Es waren eher konkrete und auch partizipative Praktiken. 

Ich habe aber irgendwann festgestellt, dass auch das, was ich in der Kunst tue, relevant für das Verstehen von Wissen und Erkenntnis ist. Also habe ich künstlerische Forschung für mich als eine Art Schnittstelle zwischen Kunst und Philosophie entdeckt, mit der ich die Frage des Wissens in der Philosophie und die Frage des Denkens in der Kunst verknüpfen konnte. Und schließlich habe ich festgestellt, dass das künstlerische Forschen auch für das Design interessant ist. Das Forschen im Design ist nicht das gleiche wie das Forschen in der Kunst. Aber die Frage ist heutzutage auch, was tatsächlich die Unterschiede sind. Die Unterschiede von Kunst und Design lassen sich zum Beispiel auf keinen Fall medial markieren, da KünstlerInnen und DesignerInnen genau mit den gleichen Medien arbeiten und eben auch beide Felder zunehmend einen welterforschenden Anspruch haben. Von daher finde ich das Tätigkeitsfeld ehrlich gesagt nicht so breit.

Designbegriff

Da würde ich gerne ansetzen und eine fiese und zugleich fundamentale Frage stellen: Können Sie ihren Designbegriff in Kürze erläutern?

Die ganz kurze Variante ist die historische Variante. Ich habe in dem Sinne keinen Begriff. Was ich mache, ist, dass ich beobachte, dass das Design (und damit auch das Verständnis von Gestaltung) sich parallel zu wirtschaftlichen, industriellen, gesellschaftlichen, historischen und kulturellen Prozessen geändert und gewandelt hat. So gesehen habe ich einen nicht-essentialistischen Designbegriff, wenn man das so sagen will. 

Ich finde es interessant, zu schauen, wie sich die Rolle der Gestaltung in diesem Geflecht technologischer, gesellschaftlicher, kultureller und industrieller Entwicklungen immer wieder neu ausjustiert. Das ist nicht spezifisch aktuell. Das Design hat sich immer schon in diesem kaleidoskopischen Justierungsverhältnis befunden, in dem sich die Rahmenbedingung verändern. So gesehen gibt es keine konkrete Antwort, sondern eine Kontextualisierung.

Dahingehend kann man den Begriff ja als nicht feststehend oder final formuliert betrachten, obwohl er im Diskurs gerade heute ziemlich hochgehalten wird. Was würden Sie sagen, an welchen Grenzen er sich derzeitig aus justiert? Wo wird gerade am intensivsten verhandelt, was Design ist und was nicht Design ist?

Ich beobachte, dass es tatsächlich neue Allianzen gibt, an denen so etwas wie ein Designbegriff verhandelt wird. Eine Allianz, die tatsächlich relativ neu ist, ist die zur Wissenschaft, also das Feld der Designforschung. 

Es gibt aber auch andere relevante Allianzen, die schon ein bisschen älter sind, an denen aber nach wie vor gerieben und gezerrt wird. Zum Beispiel im Verhältnis von Design zum Sozialen, Politischen oder Gesellschaftlichen, wo so etwas wie Social Design, Political Design, Critical Design oder Service Design ins Spiel kommt. Hier wird der Designbegriff brisant. In diesem Kontext geht es nämlich auch um die Gestaltung des Immateriellen. Die Ergebnisse im Social, Political, Critical oder Service Design sind viel flüchtiger und immaterieller als im klassischen Design. Da geht es ganz massiv um die Frage, was hier eigentlich noch Gestaltung ist. 

Eine dritte Allianz ist die des Designs zum Technologischen, weil sich mit den Prozessen der Digitalisierung und den neuen Werkzeugen des Gestaltens der intrinsische Gestaltungsprozess verschoben hat und ein anderer geworden ist. Kreativität findet gewissermaßen auf einmal im Dazwischen analoger und digitaler Praktiken statt, in einem uneinschätzbaren Loch, eben weil es plötzlich solche unterschiedlichen Werkzeuge des Gestalten gibt. 

In diesen drei neuen Feldern der Allianz oder Eckfeldern wird gerade ganz viel verhandelt und es kann durchaus sein, dass es dann am Ende in ganz unterschiedlichen Richtungen Design gibt und zu Abscheidungsprozesse kommt. Wie genau das aussieht, weiß ich nicht, aber ich finde es interessant.

Uns als Kommunikationsdesigner interessiert natürlich auch, was es genauer mit dem Begriff des Kommunikationsdesigns auf sich hat. Kunst und Design kommunizieren beide und sind für uns gewissermaßen Praktiken der Welterschließung. Wo würden Sie das Kommunikationsdesign in diesem Aushandlungsprozess verorten, wo bricht er vielleicht auf und verflüchtigt sich?

Ich weiß nicht, ob sich das Kommunikationsdesign verflüchtigt. Ich halte so eine Art Konzeptdesignbegriff zunehmend für plausibler oder brauchbarer, weil wir immer weniger mit einem einzelnen Werkzeug oder Medium an Sachen ran gehen. KommunikationsdesignerInnen arbeiten mit Papier oder digitalen Medien, anders als ProduktdesignerInnen, die mit Metall, Holz oder was auch immer arbeiten, anders als ModedesignerInnen, die mit Textilien arbeiten. In der Kunst war es auch so, dass künstlerische Medien oder Materialien im Zentrum standen. Da gab es die BildhauerInnen, VideokünstlerInnen und MalerInnen, bis irgendwann dieser Konzeptbegriff aufgetaucht ist, den wir jetzt auch im Design haben. 

Dieser ist geprägt von inhaltlichen Fragestellungen, aus denen sich dann Herausforderungen ans Medium oder Material ergeben. Von daher kann es auch durchaus passieren, dass man feststellt, dass man als KommunikationsdesignerIn gestartet ist und vielleicht als ModedesignerIn endet und beispielsweise Schals macht, weil das eine Form von Kommunikationsmedium ist, die das Inhaltliche angemessen aussagt. Ich glaube, dass sich diese alten medialen Zuschreibungen idealerweise auflösen und keine Rolle mehr spielen sollten. Das führt meiner Meinung nach zu keinem Mangel an Präzision, sondern eher zu einer Erhöhung der Präzision, da man im Konzeptdesign immer wieder dazu aufgefordert wird, sich zu fragen, was eigentlich das eigene Medium der Kommunikation ist und warum. So ist man viel mehr gefordert, präzise zu sein, als wenn man es immer schon für selbstverständlich nimmt, dass man halt beispielsweise ein Buch macht, weil man eben KommunikationsdesignerIn ist.

Theorie & Praxis

Alles was wir jetzt gerade besprechen spielt sich ja hauptsächlich in diesem theoretischen Diskurs ab, indem Design irgendwo neu verhandelt wird und indem neue Perspektiven aus der Theorie und der Forschung hinzugezogen werden. Trotzdem gibt es irgendwo auf der anderen Seite die eingefleischte Designpraxis, wo jeder zu wissen scheint, dass man DesignerIn und warum man DesignerIn ist. Es lässt sich aber beobachten, dass sich dieses Verhältnis verschiebt. Wie würden Sie das derzeitige Verhältnis zwischen Theorie und Praxis beschreiben?

Ich sehe da ein Problem und das sind die Hochschulen. Wenn etwas langsam darin ist, sich irgendwie anzupassen und nachzujustieren, dann sind es Hochschulen, also dort, wo DesignerInnen ausgebildet, trainiert oder auf ein anderes Leben vorbereitet werden. 

In der Praxis sehe ich dagegen, dass ganz viele GestalterInnen und Agenturen anfangen, gar nicht mehr so medial fokussiert zu sein. Viele sind vielleicht mal aus dem Kommunikationsdesign gekommen, machen aber Ausstellungen, Apps oder organisieren Kulturveranstaltungen. Die Praxis sehe ich viel eher in der Überwindung oder Erweiterung des Designbegriffs, da man dort zum Glück nicht so viel darüber nachdenkt und sich nicht ständig positionieren, erklären und legitimieren muss. Das macht die Sache dann wahrscheinlich auch irgendwie machbarer. 

Hingegen ist so eine Hochschule erstens ein ziemlich träger Apparat und steht zweitens unter einem ständigen Legitimations- und Selbsterklärungsdruck, sich darin zu rechtfertigen, warum Dinge anders zu machen sind.

Hat die Theorie dahingehend dennoch einen Einfluss auf die Praxis?

Manche meiner Kollegen haben Angst vor der Theorie. Ich bin eher ein Hybrid, da ich aus der künstlerischen Praxis und der Philosophie komme. Die Philosophie ist keine Theorie im engen Sinne, sondern versteht sich teilweise auch als Lebensweise, wie die Kunst umgekehrt auch durchaus ein sehr reflektiertes Medium ist. Von daher habe ich immer meine Schwierigkeiten mit der Ansicht, dass wir auf der einen Seite eine Praxis haben, in der man tätig ist, und auf der anderen Seite die Theorie, in der man über die Praxis nachdenkt. So läuft es halt nicht. Natürlich haben wir immer noch Professuren, die so aufgeteilt sind, aber wir haben die Situation, dass das Reflexionsniveau und auch die Bereitschaft, im Verhältnis zu einer Tätigkeit konzeptuell zu arbeiten, einfach sehr viel größer geworden ist. Daraus ergibt sich ganz von alleine, dass man den Bedarf hat, sich konzeptuell, reflektierend, denkend oder parallel um Fragestellungen zu kümmern, die stets mit dem Tun verwoben sind.

Wie lässt sich aufgrund dieses Wandels die Situation der Designdisziplin bewerten und auslegen? Wo ergeben sich vielleicht Herausforderungen, Chancen und auch Risiken für Leute, die frisch aus dem Studium kommen und in die Praxis hineingehen?

Wenn man sich das einigermaßen realistisch veranschaulicht, haben wir trotz allem immer noch ein sehr großes klassisches Designfeld. Es gibt immer noch massenweise Leute, die Werbung, Poster und diese ganzen Dinge machen. Und dann gibt es diese veränderten, designtheoretisch oder historisch relevanten Designfelder, die eigentlich eine Herausforderung darstellen, weil man ahnt, dass sich das ganze Feld in diese Richtung entwickeln wird. Aber noch ist es nicht so. Wenn man von Social, Critical, Political oder Research Design spricht, sind das im Vergleich zur Masse dessen, was gestaltet wird, Marginalien. 

Daraus ergibt sich eine doppelte Herausforderung. Auf der einen Seite will man, dass sich die Potenziale dieses erweiterten Designbegriffs beispielsweise in Hochschulen und Professuren, in Form einer bestimmten Rolle der Theorie, niederschlagen (obwohl man das vielleicht anders nennen sollte, um dieser Praxis-Theorie Dichotomie aus dem Weg zu gehen). Auf der anderen Seite steht der Versuch, eine ebenso avancierte Designausbildung zu ermöglichen, die gleichzeitig zu einer momentan noch sehr anachronistischen Praxis quer liegt. 

Natürlich ist es so, dass viele Leute, die aus Hochschulen rauskommen, möglicherweise sehr viel mitbekommen haben und über einen reflektierten und erweiterten Designbegriff verfügen. Die plumpsen dann aber in die ökonomische Realität, in der sie vielleicht gar nicht in der Lage sind, damit Geld zu verdienen.

Wäre es vielleicht ein Lösungsansatz, in der Lehre nicht nur Input zu geben, sondern auch die Werkzeuge der Philosophie einzubauen, eben das kritische Denken, argumentative Vorgehen und das richtige Hinterfragen, um sich auf diese Weise in einen Raum der Reflexion begeben zu können?
Da fragen Sie vielleicht die Falsche, da ich das tagtäglich mache. Ich bin keine Designtheoretikerin, da es so etwas nicht gibt. Niemand ist als DesigntheoretikerIn ausgebildet worden, es gibt keinen Studiengang dafür. Die Leute kommen entweder aus der Medientheorie, Philosophie, Germanistik oder direkt aus dem Design. Das heißt, dass wir gestalterische Praktiken reflektieren, indem wir tatsächliche Bezüge herstellen. Wir machen also nichts anderes, als diesen Reflexionsraum aufzumachen.

Mittel & Methoden

Was würden Sie trotzdem sagen, mit welchen Mitteln und Methoden DesignerInnen in der Lehre diesem Wandel in der Praxis begegnen können?

Wir versuchen hier beispielsweise, kollaborative Projekte zu machen. Das klappt nicht immer, ist aber zumindest mal ein Ansatz. Gemeint sind damit gemeinsame Projekte mit Leuten, die formal aus der Praxis, der Theorie oder auch der künstlerischen Lehre kommen, um diese Grenzen in einem gemeinsamen Raum der Lehre ein Stück weit aufzuweichen. Dabei geht es dann immer gleichzeitig um das Tun, Reflektieren und um die Frage der ästhetischen Formulierung. Ich glaube, das hat ganz viel mit einer gewissen Schläue im Umgang mit hochschulischen Rahmenbedingungen zu tun, die selber erweitert werden müssen, damit ein erweiterter Designbegriff die Chance hat, sich auf irgend eine Weise auf zu tun oder zu sich zu kommen.

Also spielt Transdisziplinarität eine große Rolle dabei?
Genau, wenn man bei den alten Begriffen von Theorie und Praxis bleibt, ist es Transdisziplinarität. Oder man sagt, man hat einfach ein Designkonzept, indem nachgedacht, recherchiert, geforscht und auch mit verschiedenen Tools gearbeitet wird.
Sollte das eine verstärkte Rolle in der Designlehre spielen und diese ausprägen?

Ich weiß nicht, ob man das so allgemein für die Designlehre sagen kann. Das hängt natürlich davon ab, was jeweils schon da ist. Wir sehen, dass so langsam plötzlich überall Masterstudiengänge in Richtung Designtheorie oder Designforschung auftauchen und es gleichzeitig sehr strukturkonservative Hochschulen gibt, in denen die alten Raster beibehalten werden. Ich glaube schon, dass es wichtig ist, grundsätzlich über die Frage der Vermittlung nachzudenken. Das hat aber nicht nur was mit dem Design zu tun, sondern mit dem ganzen Hochschulsystem, das anders gemacht werden kann. Mir geht es im Grunde darum, Situationen zu erzeugen, in denen ein anderes Denken und Tun möglich werden. Es geht gar nicht darum, jemandem dezidiert Social Design, Designforschung oder klassische Postergestaltung beizubringen, sondern darum, jemanden in eine Situation zu bringen, in der man auf eine neue Weise tuend und denkend über die eigene Praxis hinaus kommt.

Wenn man jetzt beispielsweise bei solchen Hybriden wie dem Social Design bleibt, das sich mitunter in der Soziologie und den Sozialwissenschaften bewegt und man sich mit fachfremden Disziplinen auseinandersetzen muss, weil das Design darauf ausgreift, wird es dann insgesamt wichtiger, sich fachfremde und neue Disziplinen erschließen zu können?

Ja, das kann man so formulieren, ich würde aber sagen, dass die Gestaltung oder das Design, immer eine Form des Arbeitens-mit ist. Wir gestalten ja nicht nur Konkretes, sondern auch beispielsweise soziale Situationen. Wenn man so will, ist Gestaltung eine abstrakte Praxis, die sich immer in einer ganz dichten Auseinandersetzung mit Etwas befindet und dieses Etwas können genauso szenische Situationen wie materielle Situationen sein.

Mit welchen Voraussetzungen und mit welchem Mindset sollte man an das transdisziplinäre Lernen rangehen?

Es gibt ja die Vorstellung oder Forderung, dass wir alle Amateure werden müssen, weil wir uns in einer Welt bewegen, in der wir sowieso keine Expertisen mehr haben können. Das ist mir ein bisschen zu kurz gegriffen, weil es gleichzeitig schon darum geht, eine gewisse Präzision im Umgang mit der jeweiligen Situation, Materie oder Fragestellung zu erreichen. 

Wahr daran ist aber, dass wir in keiner Situation sind, in der wir sagen können: „Wir haben eine Art Methodenset, einen Werkzeugkasten und wenn ihr den alle habt, dann seid ihr GestalterInnen“. Stattdessen geht es im Grunde um eine Haltung, die vermittelt werden will. Was dann für ein Werkzeug herangezogen wird und welche Recherche und welchen Hintergrund ich mir aneignen muss, ist eben situations- oder fragestellungsabhängig.

Kompetenzen

Welche Kernkompetenzen sollten demnach auf jeden Fall in der Lehre vermittelt werden, damit DesignerInnen diese Haltung überhaupt erst formen können?

Was ich am Ende hervor locken will, ist Aktivität und Neugier. Das sind relativ abstrakte Qualitäten, aber darum herum gruppieren sich vielleicht konkretere. Wichtig ist zu wissen, was es heißt zu recherchieren, wozu die Neugier gehört, und zu wissen, was eigentlich die eigene mediale, handwerkliche oder auch inhaltliche Geschichte ist, wozu die Aktivität gehört. Es ist auch wichtig, dass man sich an Praktiken ausprobiert. Es ergibt keinen Sinn, einfach nur ein Konzept zu haben. Um zu einer gestalterischen Position zu kommen, muss man sich mit den Handwerkszeugen und Dingen auseinandersetzend weiterentwickeln. Im Grunde geht es wirklich nur um Neugier und Aktivität.

Da bewegt man sich ja auch wieder im Spannungsfeld zwischen einem Spezialistentum und einem Universalistentum. Wie sollte sich eine gute Designlehre dazwischen verorten?

Ich weiß es nicht. Tendenziell würde ich eher eine generalistische Perspektive einnehmen wollen vor dem Hintergrund, dass wir uns eben tatsächlich nicht mehr darauf verlassen können, dass bestimmte Spezialisierungen in irgendeiner Form eine Nachhaltigkeit im Sinne einer zeitlichen Verlässlichkeit haben, gerade was beispielsweise digitale Werkzeuge angeht. Vielleicht finde ich diese Zuspitzung aber auch zu eigentümlich, das hat vielleicht etwas damit zu tun, dass ich mitunter aus der Philosophie komme und PhilosophInnen immer alle Generalisten sind, sich aber trotzdem in Fragestellungen spezialisieren. Ich komme aber nicht sehr weit, wenn ich nur bei einer Begriffsbestimmung anfange. 

Die Gefahr beim Generalistentum ist immer, dass nichts richtig gekonnt wird. Was aber vielleicht gekonnt werden kann, ist dieses sich-einarbeiten- wollen und auch -müssen, also eine im Grunde strategisch-taktische Fertigkeit. Diese Praxis der Anpassungsfähigkeit und des Entdeckens spezifischer Werkzeuge, die man für aktuelle Fragestellungen benötigt, kann man auch sehr gut können, man muss sie aber auch lange trainieren. Vielleicht findet tatsächlich gerade statt, dass sich die Anforderungen und auch das, was DesignerInnen können müssen, ein Stück weit von einer klaren Verortung im Materiellen wegbewegen, hin zu einer Frage der Haltung, die eine Umgangsform und -weise mit verschiedenen Materialien intendiert.

Designlehre

Was lassen sich davon für derzeitige Herausforderungen für die Designlehre ableiten?

Das Hochschulsystem ist die Herausforderung. Wir haben eine Lehrsituation, die zwischen künstlerischer Lehre, Laborlehre, Theorielehre und Designlehre klassisch trennt und ich glaube, das ist mit all den dazugehörigen Abgrenzungsreflexen auch nicht einzigartig. Da hat das Modulsystem der Hochschule ein ganz großes Problem generiert. Wir werden in Module sortiert und getrennt, obwohl wir diese eigentlich mischen müssen. Wir brauchen Projektlehre, in der situativ und fallspezifisch reflexive, technische und künstlerische Kompetenzen zusammenkommen. Solche flexiblen Abmischungsverhältnisse von Modulen sind im aktuellen System überhaupt nicht vorgesehen. Da kommt man auch so schnell nicht raus. Man müsste das Hochschulsystems relaunchen.

Ethik & Moral

Wir beobachten bei viel Studierenden, dass die sich zunehmend mit ethischen Thematiken auseinandersetzen wollen. Wie sollten wir mit Ethik und Moral in der Designlehre umgehen?

Die Auseinandersetzung mit der Rolle der GestalterInnen als Weltgestalter, die damit auch mit einer gewissen Verantwortung ausgestattet sind, ist ja nun in keiner Weise neu (Stichwort 70er Jahre, Victor Papanek und so weiter). Gleichzeitig erfährt sie eine Art Revival oder Wiederentdeckung, was sehr viel mit gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu tun hat. Menschen, die gerade in der Ausbildung sind oder einen Gestaltungsanspruch haben, sind schlicht und einfach mit dem Klimawandel und gesellschaftlichen Veränderungen, beispielsweise in Richtung Radikalisierung, konfrontiert. 

Ich glaube, das hat ganz viel damit zu tun, dass die Leute selber plötzlich das Gefühl haben, dass sie etwas wollen und sich dann natürlich fragen: „Was sind denn meine Werkzeuge, wo kann ich etwas beitragen?“. Eigentlich ist es ja genau die richtige Herangehensweise, ein politisches oder ethisches Bedürfnis zu haben und sich dann daran zu erinnern, dass man als GestalterIn bestimmte Angebote erzeugen kann, um solche Sachen zu adressieren oder zu verändern. 

Das Ethische oder das Politische liegen aber nicht ausschließlich in der Natur des Designs. Man kann genauso gut philosophische Texte schreiben oder andere Dinge machen. Die Übersetzung einer ethischen Haltung in eine bestimmte Praxis ist aus unterschiedlichsten Perspektiven möglich. Natürlich haben GestalterInnen eine extreme Verantwortung, weil sie Diskurse und Produkte gestalten, die mit all unseren Problemen zusammenhängen, aber sie sind dabei eben nicht alleine. Überhaupt zu sehen, dass wir eine Verantwortung haben, weil wir Dinge tun, ist nicht nur bei GestalterInnen wichtig. Dennoch ist es wichtig, dass gesehen wird, dass es nicht-politisches Design nicht gibt. Alles, was wir tun, hat einen Einfluss auf Selbstverständnisse und Lebensweisen. Gleichzeitig ist es eben so, dass wir in einer gesellschaftlichen Situation leben, in der ganz viele Bedürfnisse nach Engagement, Einfluss und Intervention da sind und sich einfach an die eigenen Tools erinnert wird.

Demnach ist es aus aufklärerischer Perspektive eigentlich wünschenswert, dass man gegenüber der Designdisziplin eine kritische Haltung mit sich bringt, indem man sich mit politischen und wirtschaftlichen Kontexten auseinandersetzt. Trotzdem hat eine ethische Reflexion in der bloßen Dienstleistungspraxis und den getakteten Zyklen des Alltags oft keinen Platz mehr, wozu kommt, dass sich viele in der Praxis immer noch als bloße Dienstleister verstehen, die Aufträge abarbeiten. Wie sehen Sie das?

Absolut, auf jeden Fall, aber das betrifft ja alle Praktiken. Wenn man den Eindruck hat, man könne das nicht, dann muss man sich klarmachen, dass es dieses Nicht-Können nicht gibt, weil das, was ich tue, auch dann noch politische Effekte hat, wenn ich mich frei nach dem Motto: „Das ist ja nur ein Auftrag“ versuche da rauszuziehen. Das geht aber nicht auf. Das, was ich gestalte, ist Teil eines gesellschaftlichen und kulturellen Gesamtprozesses und wirkt sich dort aus.

Muss eine Lehre theoretisch darauf aufmerksam machen?

Ja klar. Das Beste, was eine Lehre vielleicht schaffen kann, ist, dass sie das Sich-nicht-zurückziehen-Können aus dem gesellschaftlichen (man muss es nicht gleich politisch nennen) klar macht. Das gilt nicht nur für das Design, sondern auch für alle anderen Disziplinen und Felder.

Ich finde, das ist ein schönes Schlusswort. Ich bedanke mich für das Gespräch, Ihre Antworten und Ihre Zeit.