Alexander Meinhardt
Freelancer
Creative Director & Experience Designer bei Krunchtime
Kurzbeschreibung
Wir sind heute zu Gast in der Schanze in Hamburg und sprechen mit Alexander Meinhardt. Alex ist ein freier Creative Director, Experience Designer, Stratege und Berater mit Fokus auf digitale Produkte und Services. Bevor er sich selbstständig gemacht hat, war er unter anderem Art Director bei Syzygy und Hi-ReS!, und später Creative Director bei Swipe, die mittlerweile zum Tech-Haus SinnerSchrader gehören. Seit etwas mehr als zwei Jahren ist er als Freelancer für Unternehmen wie Adidas oder Diynamic und Agenturen wie Denkwerk oder Shift tätig. Kennengelernt habe ich Alex während unserer gemeinsamen Zeit bei Swipe, und freue mich deswegen umso mehr, dass wir heute miteinander über ein Thema sprechen, dass uns beide schon länger beschäftigt: Die Designlehre. Denn neben seiner Arbeit für Kunden war Alex Dozent für Interaction Design an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg und ist momentan Lecturer für Product Innovation an der Design Factory in Hamburg.
Das Gespräch mit Alexander Meinhardt führte Dominik Volz am 25.10.2019 in Hamburg.
Motivation
Hängt die Entscheidung also stark von der eigenen Persönlichkeit ab?
Designbegriff
Das ist auf jeden Fall eine harte Frage. Für mich bedeutet es Kreation, oder auf Deutsch Erschaffen und Gestalten. Aber nicht nur im formalen, sondern auch im konzeptionellen Sinne. Das wäre wohl die einfachste Definition. Ob der Titel auf LinkedIn noch dem entspricht, was ich aktuell mache, kann ich schwer sagen. Ich plage mich jedenfalls ständig mit dem Problem dieser Begriffe herum und ich glaube, das geht den meisten DesignerInnen ähnlich. In meinen Kursen an der Schule stehe ich auch immer vor der Herausforderung, die Begriffe erklären und/oder die Unterschiede aufzeigen zu müssen. Als ich auf LinkedIn den Titel Experience Designer eingetragen habe, wollte ich es bewusst breit fassen. Product Design wäre wahrscheinlich treffender für meine aktuelle Arbeit, aber da vermute ich, dass der Begriff von einem Großteil meiner deutschen Kunden missverstanden werden würde. UI Design ist zu kurz gesprungen, gerade wenn man sich auch mit Konzept, Gestaltung im Raum oder Installationen befassen möchte. In dieser Hinsicht empfinde ich Experience Design als treffend. Passenderweise habe ich mich in meiner Vergangenheit schon oft mit Events beschäftigt, was ebenfalls unter diese größere Klammer fallen kann. Vieles davon zählt zwar nicht zu dem, was ich aktuell als Portfolio anbiete, aber vielleicht gehe ich da wieder hin. So gesehen finde ich es einfacher, es ein bisschen breiter zu fassen.
Vielleicht habe ich eine Facette vergessen, aber ich glaube, er müsste ungefähr gleich lauten. Design ist auf jeden Fall keine reine Gestaltung im stereotypischen Sinn und auch keine Kunst. Es geht also nicht nur um das Formale. Vielmehr gibt es Services und Artefakte, die durch Design bedienbar und erfahrbar werden, die durch Design funktionieren und aussehen. Wo genau man allerdings die Grenze zieht, ist Ansichtssache; dazu gibt es sicher weit auseinandergehende Meinungen.
Klar, auf jeden Fall.
Theorie & Praxis
Das konkrete Verhältnis in meinen Kursen wäre wohl 40/60. Das kann aber durchaus in Richtung 50/50 variieren. Ich versuche meinen SchülerInnen in meinem Unterricht immer sehr viel an Hintergrund, an Theorie, also an high-level Information und Methode, aber auch an Inspiration mitzugeben – während die Praxis im Gunde außerhalb des Kurses stattfindet. Das heißt aber nicht, dass es überall so ist. Alleine schon bei uns an der Schule gibt es große Unterschiede, wie und wann gearbeitet werden soll. Bisweilen passiert das teilweise, und in Einzelfällen sogar ausschließlich innerhalb des Kurses.
Ich weiß nicht, ob man da zwischen Theorie und Praxis unterscheiden kann. Denn es ist schwer zu sagen, was im Arbeitsalltag Theorie ist. Es könnte das fortwährende Lernen sein, aber auch der Research. Zweiteres ist für mich ein integraler Teil des Jobs und damit eigentlich Praxis – da würde ich nicht von Theorie sprechen. Wenn man natürlich Praxis so eingrenzt, dass etwas Funktionales dabei herauskommen muss, dann könnte man Research zur Theorie zählen. Und dann würde ich ihr 70 % der Zeit geben. Das ist ein durchaus großer Anteil, aber auch gut so. Nichtsdestotrotz würde ich den Research eher zu Praxis zählen. Ich verstehe unter Theorie viel eher das fortwährende Lernen und sich selbst Weiterbilden. Dazu gehört genauso das Aneignen von neuen Tools und neuen Methoden, wie das Anschauen von Projekten wie eurem, das Besuchen von Konferenzen oder Museen oder das Lesen von Magazinen. Sobald die Tätigkeit aber auftragsbezogen wird, ist es für mich Praxis.
Ich empfinde das alles als sehr spannend, aber auch als sehr schwer zu vermitteln. Durch die verschiedenen Strömungen, Begriffe und Emerging Technologies wird es immer schwieriger, den Kern der Disziplin zu greifen. Es ist ein bisschen wie in der Musik: Kommt ein neuer Stil zum tragen, dann zerfächert sich alles extrem, aber an vielen Stellen merged es auch wieder zusammen und es entstehen Hybriden, die unfassbar schwer einzuordnen sind. Das ist auch der Grund, warum in meinem LinkedIn-Profil Experience Design steht. Eigentlich finde ich es gar nicht richtig, so konkrete Grenzen zu ziehen. Andernfalls müsste man in 15 Hashtags erklären, für was man alles steht. Sicherlich entsteht in Zukunft ein sehr viel breiteres Berufsbild, in dem man sich als DesignerIn auf der einen Seite nicht mehr so stark festlegen, auf der anderen Seite aber auch ein größeres Portfolio zulegen muss – außer man hat Bock, sich zu spezialisieren.
Ich sehe es als eine Chance. Abgesehen davon wird man sich auch nicht gegen diese Entwicklung stellen können, die übrigens gleichzeitig auch Fortschritt bedeutet. Es wird komplexer und es wird breiter – es wird aber auch spannender. Und damit geht natürlich einher, dass sich die Anforderungen an DesignerInnen ändern werden. Also müssen sich auch die Anforderungen an die Lehre ändern.
Mittel & Methoden
Definitiv, was uns auch zur nächsten Frage bringt: Mit welchen Mitteln und Methoden können DesignerInnen dieser Komplexität begegnen?
Das ist eine Frage, die ich mir permanent stelle. Ich versuche viele Beispiele und viel Inspiration mitzugeben – und immer wieder Gäste einzuladen, die für einen bestimmten Bereich stehen und etwas mitbringen können, das die SchülerInnen fasziniert. Wenn ich zum Beispiel eine Kollegin einlade, die zum Thema Moodboarding referiert und man ihre Leidenschaft, ihren Fleiß, ihre Ordnung und ihre Ästhetik überall ablesen kann, dann hoffe ich, dass das ansteckt.
Genau. Ich denke, Persönlichkeiten haben einen größeren Einfluss als Arbeiten. Und das Thema Neugier ist auf jeden Fall ein Entscheidendes. In der Übersättigung, in der wir heute leben, ist es als Lehrender unglaublich schwierig, einen Funken zu kreieren und ihn überspringen zu lassen. Das muss mittlerweile eigentlich genau auf einzelne Studierende zugeschnitten sein.
In meinem relativ breiten Leistungsspektrum nimmt sie eine zentrale Rolle ein. Als FreiberuflerIn lebt man letztendlich davon, ganz verschiedene Themen zu verstehen, anzunehmen und umzusetzen. Dabei spielt es eigentlich keine Rolle, welche Art von Tätigkeit es ist. Sobald du als DesignerIn den Schritt in die Selbstständigkeit machst, ist es mehr als hilfreich, breit aufgestellt zu sein. Als Festangestellte oder Festangestellter ist man anfangs dagegen häufig für einen ganz klaren Aufgabenbereich abgestellt. Und wenn man nicht den Willen hat, daran etwas zu ändern, wird man zumeist lange in diesem Bereich arbeiten. In der Freiberuflichkeit ist es dagegen viel eher nötig, dass man fließend zwischen verschiedenen Themen wechseln kann. In dem Zusammenhang ist es z.B. auch total hilfreich, wenn man rein- und rauszoomen kann. Wenn man an der Umsetzung eines Prototypes oder eines Brandings arbeitet, dann ist man teilweise sehr stark in den Details unterwegs. Man friemelt und tut, man kämpft um jeden Millimeter und mit Dingen, die kaum jemand realisiert. Im selben Moment muss man aber auch in der Lage sein, aus dieser Mikroebene fließend auf eine ganz andere Ebene zu wechseln, also jederzeit den Zoomfaktor komplett zu verändern. Nur so kann man entscheiden, ob das, was man gerade tut, im Kontext des Projekts das Richtige ist. Diesen Blick von oben zu beherrschen, halte ich für eine große Kunst und wahnsinnig spannend zu lernen.
Ich würde sagen ja. Aber es gehört eine gewisse Eigeninitiative dazu; je mehr davon, desto besser.
Kompetenzen
Das sind unglaublich viele. Auf der Metaebene ist auf jeden Fall die eben angesprochene Reflexion essenziell. Man muss konzeptionell denken und sich artikulieren können. Eine Vernetzungskompetenz ist für Kreative auch unerlässlich, schließlich ist Ideation nichts anderes. Man muss also ganz verschiedene Dinge aufnehmen und dann Verbindungen schaffen können, die kein anderer sieht. Und dann muss man Dinge visuell darstellen und präsentieren können. Man muss das, was sich im eigenen Kopf abspielt, nachvollziehbar machen und Visionen aufzeigen können. Darüber hinaus ist es wichtig, Fähigkeiten von anderen einschätzen zu können. Gerade in Kreativteams ist das für die Organisation der Zusammenarbeit ganz zentral, sowohl hinsichtlich Synergien als auch individueller Förderung. Das kann man auch als Empathie bezeichnen, die natürlich genauso gegenüber Kunden wichtig ist. Es ist unglaublich schwierig, den Kunden wirklich zu verstehen. Auch wenn er felsenfest davon überzeugt ist zu sagen, was er will, wird er es anders formulieren, als man selbst es tun würde. Um Missverständnisse zu vermeiden, muss man über die Zeit lernen, Briefings oder Korrekturen richtig zu lesen, um schnell zur passenden Lösung zu kommen. Und nicht nur dafür ist auch Pragmatismus wichtig. Die richtige Entscheidung zu treffen, wann man viel Zeit und Leidenschaft investiert und wann weniger, muss man als junge Studierende zwar noch nicht beherrschen, aber rasch lernen. Denn gerade als Freiberufler muss man sich selbst strukturieren, also auch priorisieren können. Wenn man das nicht lernt, endet man schnell im Burnout.
Wie ich schon angedeutet habe, glaube ich, dass man als GeneralistIn für die Zukunft besser aufgestellt ist. Und das gilt im besondern Maße für FreiberuflerInnen. Man ist dann nämlich eher in der Lage, Neuerungen zu adaptieren. Wenn man als GeneralistIn die Grundlagen bereits kann, aus denen sich die Neuerung entwickelt hat, dann ist man natürlich sofort am Start. Als SpezialistIn hast du es dahingehend schwerer. Wenn man als Filmemacher, Fotograf oder Illustrator nur einen Stil fährt, der dann aus der Mode kommt, hat man ein Problem. Man muss sich schlimmstenfalls gegen die eigene Leidenschaft in eine Richtung verändern, die man gar nicht machen will. Dann noch zu performen ist schwierig.
Designlehre
Da gibt es sicherlich einige. Wir haben noch zu viele althergebrachte, spitze Kurse, wie zum Beispiel Buchgestaltung oder Ähnliches. Das reicht mir für eine moderne Lehre nicht mehr aus. Und die SchülerInnen stürzen sich zu gerne auf die visuellen, vermeintlich einfachen Kurse wie Collagen oder Fotografie. Es macht ja auch Spaß, sich dort auszutoben. Aber die Wahrheit ist doch, dass man mit dieser Art von Fähigkeit fast nichts mehr ernten kann. Nur ganz wenige starten heute noch als FotografIn durch. Natürlich sollte man als GestalterIn Fotos machen können, aber vielleicht sind derartige Skills mittlerweile zu hoch gehängt. Wie man eine Lehre nun aufbauen sollte, damit diese Skills zwar bedacht, aber nicht zu stark gewichtet sind, kann ich allerdings noch nicht sagen. Es bleibt aber das Phänomen, dass komplexe Kurse deutlich schlechter frequentiert sind, als die einfachen. Das liegt irgendwo in der Natur des Menschen, aber dort entsteht auch das Gefälle zur Realität. In vielen der stark nachgefragten Kurse gibt es kein Briefing und kaum Kritik.