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Alexander Meinhardt

Freelancer
Creative Director & Experience Designer bei Krunchtime

Kurzbeschreibung

Wir sind heute zu Gast in der Schanze in Hamburg und sprechen mit Alexander Meinhardt. Alex ist ein freier Creative Director, Experience Designer, Stratege und Berater mit Fokus auf digitale Produkte und Services. Bevor er sich selbstständig gemacht hat, war er unter anderem Art Director bei Syzygy und Hi-ReS!, und später Creative Director bei Swipe, die mittlerweile zum Tech-Haus SinnerSchrader gehören. Seit etwas mehr als zwei Jahren ist er als Freelancer für Unternehmen wie Adidas oder Diynamic und Agenturen wie Denkwerk oder Shift tätig. Kennengelernt habe ich Alex während unserer gemeinsamen Zeit bei Swipe, und freue mich deswegen umso mehr, dass wir heute miteinander über ein Thema sprechen, dass uns beide schon länger beschäftigt: Die Designlehre. Denn neben seiner Arbeit für Kunden war Alex Dozent für Interaction Design an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg und ist momentan Lecturer für Product Innovation an der Design Factory in Hamburg.

Das Gespräch mit Alexander Meinhardt führte Dominik Volz am 25.10.2019 in Hamburg.

Motivation

Wie ich eingangs schon erwähnt habe, warst du lange Zeit angestellter Designer und Teamlead in verschiedenen Agenturen. Jetzt bist du als Freelancer unterwegs. Warum bist Du den Schritt in die Selbstständigkeit gegangen?
Das hat ganz viele Gründe. Zum einen wollte ich einfach etwas Neues zu versuchen, zum anderen stehe ich vor einer potenziellen Ausgründung. Ich will also auch Erfahrungen machen, die ich als Festangestellter bisher nicht sammeln konnte. Dazu gehört zum Beispiel, dass man sich als FreiberuflerIn stärker selbst organisieren muss und ökonomisch auf eigenen Beinen steht. Und schlussendlich passt es auch besser zu meinem persönlichen Lebenswandel. Ich habe festgestellt, dass ich auf Dauer nicht gut arbeiten kann, wenn ich zu sehr fremdbestimmt bin. Mit Selbstbestimmung kann ich besser umgehen und in ihr auch mehr abliefern. Man hat die Möglichkeit, stärker auf seinen Tagesrhythmus einzuwirken, und kann sich so die Zeiten heraussuchen, zu denen man am besten performt. In einer Festanstellung ist man dafür meistens zu stark in die Organisationsstruktur des Unternehmens eingebunden. Ich habe mich mit dem Schritt ein Stück weit frei geschwommen – auch in Richtung dem, was man heute Work-Life-Balance nennt.

Hängt die Entscheidung also stark von der eigenen Persönlichkeit ab?

Total. Es gibt ja ganz verschiedene Typen und jeder muss seine eigene Entscheidung treffen. Ich weiß, dass viele DesignerInnen in den festen Strukturen eines Unternehmens sehr viel besser funktionieren. Als FreiberuflerIn hat man diese Strukturen nicht vorliegen, und darauf bezieht sich letztendlich die Typfrage. Beides ist vollkommen legitim.

Designbegriff

Laut deinem LinkedIn-Profil bist du ein Experience Designer – einer von vielen Jobtiteln, die momentan kursieren, und einer, der vielleicht auch für einen bestimmten Designbegriff steht. Was ist für dich persönlich Design?

Das ist auf jeden Fall eine harte Frage. Für mich bedeutet es Kreation, oder auf Deutsch Erschaffen und Gestalten. Aber nicht nur im formalen, sondern auch im konzeptionellen Sinne. Das wäre wohl die einfachste Definition. Ob der Titel auf LinkedIn noch dem entspricht, was ich aktuell mache, kann ich schwer sagen. Ich plage mich jedenfalls ständig mit dem Problem dieser Begriffe herum und ich glaube, das geht den meisten DesignerInnen ähnlich. In meinen Kursen an der Schule stehe ich auch immer vor der Herausforderung, die Begriffe erklären und/oder die Unterschiede aufzeigen zu müssen. Als ich auf LinkedIn den Titel Experience Designer eingetragen habe, wollte ich es bewusst breit fassen. Product Design wäre wahrscheinlich treffender für meine aktuelle Arbeit, aber da vermute ich, dass der Begriff von einem Großteil meiner deutschen Kunden missverstanden werden würde. UI Design ist zu kurz gesprungen, gerade wenn man sich auch mit Konzept, Gestaltung im Raum oder Installationen befassen möchte. In dieser Hinsicht empfinde ich Experience Design als treffend. Passenderweise habe ich mich in meiner Vergangenheit schon oft mit Events beschäftigt, was ebenfalls unter diese größere Klammer fallen kann. Vieles davon zählt zwar nicht zu dem, was ich aktuell als Portfolio anbiete, aber vielleicht gehe ich da wieder hin. So gesehen finde ich es einfacher, es ein bisschen breiter zu fassen.

Ich bin persönlich auch ein Fan des Begriffs Experience Design, auch und vor allem, weil man damit den kulturellen Background seiner Zielgruppe betont. Aber kann man, abgesehen von dem persönlichen, auch einen generellen Designbegriff formulieren?

Vielleicht habe ich eine Facette vergessen, aber ich glaube, er müsste ungefähr gleich lauten. Design ist auf jeden Fall keine reine Gestaltung im stereotypischen Sinn und auch keine Kunst. Es geht also nicht nur um das Formale. Vielmehr gibt es Services und Artefakte, die durch Design bedienbar und erfahrbar werden, die durch Design funktionieren und aussehen. Wo genau man allerdings die Grenze zieht, ist Ansichtssache; dazu gibt es sicher weit auseinandergehende Meinungen.

Also hast du keinen final formulierten Designbegriff?
Nein, den habe ich nicht.
Wir kommen aus dem Kommunikationsdesign. Würdest du, wenn du allgemein von Design sprichst, Kommunikationsdesign darunter fassen?

Klar, auf jeden Fall.

Die Frage ist für uns interessant, weil es ganz viele verschiedene Studiengänge und genauso viele verschiedene Auffassung über ihre Inhalte gibt.
Das sehe ich auch an meiner Schule als ein sehr großes Problem. Und es gibt sicherlich Fragen, auf die man in dieser Hinsicht differenziert antworten muss. Aber generell fällt es auf jeden Fall unter meinen Begriff von Design.

Theorie & Praxis

Nachdem wir bereits in den universitären Kontext gesprungen sind, würde ich gerne wissen, wie sich in deinen Augen das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis in unserer Disziplin ausformuliert.

Das konkrete Verhältnis in meinen Kursen wäre wohl 40/60. Das kann aber durchaus in Richtung 50/50 variieren. Ich versuche meinen SchülerInnen in meinem Unterricht immer sehr viel an Hintergrund, an Theorie, also an high-level Information und Methode, aber auch an Inspiration mitzugeben – während die Praxis im Gunde außerhalb des Kurses stattfindet. Das heißt aber nicht, dass es überall so ist. Alleine schon bei uns an der Schule gibt es große Unterschiede, wie und wann gearbeitet werden soll. Bisweilen passiert das teilweise, und in Einzelfällen sogar ausschließlich innerhalb des Kurses.

Und wie würdest du es in deinem Arbeitsalltag beschreiben? Verhält es sich dort ähnlich wie in deinem Unterricht?

Ich weiß nicht, ob man da zwischen Theorie und Praxis unterscheiden kann. Denn es ist schwer zu sagen, was im Arbeitsalltag Theorie ist. Es könnte das fortwährende Lernen sein, aber auch der Research. Zweiteres ist für mich ein integraler Teil des Jobs und damit eigentlich Praxis – da würde ich nicht von Theorie sprechen. Wenn man natürlich Praxis so eingrenzt, dass etwas Funktionales dabei herauskommen muss, dann könnte man Research zur Theorie zählen. Und dann würde ich ihr 70 % der Zeit geben. Das ist ein durchaus großer Anteil, aber auch gut so. Nichtsdestotrotz würde ich den Research eher zu Praxis zählen. Ich verstehe unter Theorie viel eher das fortwährende Lernen und sich selbst Weiterbilden. Dazu gehört genauso das Aneignen von neuen Tools und neuen Methoden, wie das Anschauen von Projekten wie eurem, das Besuchen von Konferenzen oder Museen oder das Lesen von Magazinen. Sobald die Tätigkeit aber auftragsbezogen wird, ist es für mich Praxis.

Im Prinzip wendest du in der Praxis die gelernte Theorie an.
Ja. Und normalerweise nicht nur die, von der man gerade gelesen hat. Vielmehr schöpft man dann aus seinem gesamten Repertoire. Da kommt alle Erfahrung und alles Methodenwissen zusammen.
Würdest du also sagen, dass die Theorie einen spürbaren Einfluss auf deine Arbeit hat?
Ja, das würde ich schon sagen. Es ist schwer, den Einfluss an Beispielen festzumachen, aber ich glaube, dass man das auch auf alles mögliche andere beziehen kann: Die eigenen Erfahrungen prägen. Je nach dem, wie der Werdegang war, mit welchen Menschen man in welchen Konstellationen an welchen Projekten gearbeitet hat, auf welchen Kunden und nach welchen Zielen, verändert das auf jeden Fall das eigene Arbeiten. Es definiert schließlich den Schatz an dem, auf das man zurückgreifen kann. Ich habe selbst zu einer Zeit angefangen, als wir noch viel weniger Begriffe hatten. Da herrschte noch die alte Werbeschule und man ist groß geworden mit Fragen nach der Idee als solches und danach, wie man Ideen findet, wie man sie richtig aufschreibt und wie man sie schärft. Dieser Ansatz prägt mich natürlich bis heute. Und im Gegensatz dazu sehe ich, dass viele moderne Designer, die diese Werbeschule nicht hatten, ganz andere Tendenzen aufzeigen. So entstehen ganz automatisch verschiedene Lager, die nicht unbedingt gegeneinander arbeiten, aber sich einem Projekt ganz unterschiedlich nähern.
Was macht für dich gerade die Situation unserer Disziplin aus? Gerade hinsichtlich der angesprochenen Diversifizierung des Bereichs oder einer Demokratisierung der Designtools.

Ich empfinde das alles als sehr spannend, aber auch als sehr schwer zu vermitteln. Durch die verschiedenen Strömungen, Begriffe und Emerging Technologies wird es immer schwieriger, den Kern der Disziplin zu greifen. Es ist ein bisschen wie in der Musik: Kommt ein neuer Stil zum tragen, dann zerfächert sich alles extrem, aber an vielen Stellen merged es auch wieder zusammen und es entstehen Hybriden, die unfassbar schwer einzuordnen sind. Das ist auch der Grund, warum in meinem LinkedIn-Profil Experience Design steht. Eigentlich finde ich es gar nicht richtig, so konkrete Grenzen zu ziehen. Andernfalls müsste man in 15 Hashtags erklären, für was man alles steht. Sicherlich entsteht in Zukunft ein sehr viel breiteres Berufsbild, in dem man sich als DesignerIn auf der einen Seite nicht mehr so stark festlegen, auf der anderen Seite aber auch ein größeres Portfolio zulegen muss – außer man hat Bock, sich zu spezialisieren.

Siehst du diese Entwicklung eher als Risiko oder eher als Chance?

Ich sehe es als eine Chance. Abgesehen davon wird man sich auch nicht gegen diese Entwicklung stellen können, die übrigens gleichzeitig auch Fortschritt bedeutet. Es wird komplexer und es wird breiter – es wird aber auch spannender. Und damit geht natürlich einher, dass sich die Anforderungen an DesignerInnen ändern werden. Also müssen sich auch die Anforderungen an die Lehre ändern.

Mittel & Methoden

Definitiv, was uns auch zur nächsten Frage bringt: Mit welchen Mitteln und Methoden können DesignerInnen dieser Komplexität begegnen?

Zunächst einmal mit ganz viel Neugier, Fleiß, Leidenschaft und auch einer gewissen Unvoreingenommenheit. Wenn man die Bereitschaft zeigt, in alles einzutauchen, dann wird man automatisch irgendwo hängen bleiben, wo man noch tiefer gehen möchte. Deswegen einfach am Anfang versuchen, so viel wie möglich mitzunehmen, um für sich abgrenzen zu können, was einem liegt und was eher nicht. Das ist teilweise viel Aufwand und kostet Zeit, daher ist der Elan hier der zentrale Punkt. Nur weil die Tools auf der Straße liegen, ist es kein Selbstläufer. Aber das gilt letztendlich für jeden Bereich. Wenn man in irgendwas wirklich gut werden will, dann braucht man eben diese Zeit und diesen Fleiß. Leider vermisse ich bei vielen SchülerInnen beides ein wenig. Wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, dann kommt man in vielen Gebieten nicht über eine gewisse Schwelle hinaus.
Hättest du eine Idee, wie man die nötige Neugier fördern könnte?

Das ist eine Frage, die ich mir permanent stelle. Ich versuche viele Beispiele und viel Inspiration mitzugeben – und immer wieder Gäste einzuladen, die für einen bestimmten Bereich stehen und etwas mitbringen können, das die SchülerInnen fasziniert. Wenn ich zum Beispiel eine Kollegin einlade, die zum Thema Moodboarding referiert und man ihre Leidenschaft, ihren Fleiß, ihre Ordnung und ihre Ästhetik überall ablesen kann, dann hoffe ich, dass das ansteckt.

Eine Idee wäre also, sich an inspirierenden Persönlichkeiten zu orientieren, die einem ein Vorbild sein können?

Genau. Ich denke, Persönlichkeiten haben einen größeren Einfluss als Arbeiten. Und das Thema Neugier ist auf jeden Fall ein Entscheidendes. In der Übersättigung, in der wir heute leben, ist es als Lehrender unglaublich schwierig, einen Funken zu kreieren und ihn überspringen zu lassen. Das muss mittlerweile eigentlich genau auf einzelne Studierende zugeschnitten sein.

Hast du das Gefühl, dass Transdisziplinarität dabei eine Rolle spielen kann? Und sollte es gegebenenfalls in der Lehre eine größere Rolle spielen?
Es kann auf jeden Fall Neugier wecken. Und ab einem gewissen Level muss es auch in der Lehre eine Rolle spielen. Ich denke aber ebenso, dass die Basics wichtig sind. Ein Urteil darüber, wann genau was beigebracht werden sollte, kann ich nicht fällen – dafür bin ich noch nicht lange genug in der Lehre tätig.
Und welche Rolle nimmt Transdisziplinarität in deiner Arbeit als Freelancer ein?

In meinem relativ breiten Leistungsspektrum nimmt sie eine zentrale Rolle ein. Als FreiberuflerIn lebt man letztendlich davon, ganz verschiedene Themen zu verstehen, anzunehmen und umzusetzen. Dabei spielt es eigentlich keine Rolle, welche Art von Tätigkeit es ist. Sobald du als DesignerIn den Schritt in die Selbstständigkeit machst, ist es mehr als hilfreich, breit aufgestellt zu sein. Als Festangestellte oder Festangestellter ist man anfangs dagegen häufig für einen ganz klaren Aufgabenbereich abgestellt. Und wenn man nicht den Willen hat, daran etwas zu ändern, wird man zumeist lange in diesem Bereich arbeiten. In der Freiberuflichkeit ist es dagegen viel eher nötig, dass man fließend zwischen verschiedenen Themen wechseln kann. In dem Zusammenhang ist es z.B. auch total hilfreich, wenn man rein- und rauszoomen kann. Wenn man an der Umsetzung eines Prototypes oder eines Brandings arbeitet, dann ist man teilweise sehr stark in den Details unterwegs. Man friemelt und tut, man kämpft um jeden Millimeter und mit Dingen, die kaum jemand realisiert. Im selben Moment muss man aber auch in der Lage sein, aus dieser Mikroebene fließend auf eine ganz andere Ebene zu wechseln, also jederzeit den Zoomfaktor komplett zu verändern. Nur so kann man entscheiden, ob das, was man gerade tut, im Kontext des Projekts das Richtige ist. Diesen Blick von oben zu beherrschen, halte ich für eine große Kunst und wahnsinnig spannend zu lernen.

Gibt es Voraussetzungen, um das als junge GestalterIn leisten zu können?
Vieles davon sind tatsächlich Erfahrungswerte. Je öfter man Projekte einer bestimmten Gattung gemacht oder je mehr Jahre man gearbeitet hat, desto eher kann man beurteilen, wann man eine Ebene höher gehen sollte, um die eigene Arbeit zu überprüfen. Gleichzeitig ist es aber auch eine Typsache. Es gibt Personen, denen fällt das Denken auf einer Metaebene sehr leicht, andere sind vielleicht eher detailversessene Nerds, denen das große Ganze nicht sehr wichtig ist. Und das ist vollkommen in Ordnung. Im Studium muss jeder für sich herausfinden, was sie oder ihn begeistert. Das sollte man nicht werten und in dieser Hinsicht den SchülerInnen auch nichts aufzwingen. Aber man sollte ihnen die Unterschiede immer wieder erklären. Die Vorteile des Rauszoomens sind dann ab einem bestimmten Moment sicherlich ersichtlich.
Dieses Rauszoomen ist letztendlich ja eine Art Selbstreflexion. Müsste man also mehr Raum haben, um seine eigenen Prämissen zu hinterfragen?
Das ist ein guter Gedanke. Vielleicht ist die Lehre von Selbstreflexion auch generell ein essenzieller Bestandteil der zukünftigen Ausbildung.
Gerade dann, wenn die Komplexität zunimmt und man sich ständig zwischen den Systemen bewegt, muss man sich immer wieder vergewissern, wo man eigentlich gerade steht.
Dabei ist Demut extrem wichtig. Denn Arroganz verleitet einen oft dazu, sich nicht zu hinterfragen, sondern einfach blind davon überzeugt zu sein, dass man das Richtige tut. Und damit fangen die Probleme an.
Hast du das Gefühl, dass an Lehrinstitutionen die Voraussetzungen für das Erlernen dieses Reflexionsvermögens gegeben sind?

Ich würde sagen ja. Aber es gehört eine gewisse Eigeninitiative dazu; je mehr davon, desto besser.

Kompetenzen

Welche Kompetenzen sind für Studierende wichtig, wenn sie nun aus ihrer Ausbildung in die Arbeitswelt kommen?

Das sind unglaublich viele. Auf der Metaebene ist auf jeden Fall die eben angesprochene Reflexion essenziell. Man muss konzeptionell denken und sich artikulieren können. Eine Vernetzungskompetenz ist für Kreative auch unerlässlich, schließlich ist Ideation nichts anderes. Man muss also ganz verschiedene Dinge aufnehmen und dann Verbindungen schaffen können, die kein anderer sieht. Und dann muss man Dinge visuell darstellen und präsentieren können. Man muss das, was sich im eigenen Kopf abspielt, nachvollziehbar machen und Visionen aufzeigen können. Darüber hinaus ist es wichtig, Fähigkeiten von anderen einschätzen zu können. Gerade in Kreativteams ist das für die Organisation der Zusammenarbeit ganz zentral, sowohl hinsichtlich Synergien als auch individueller Förderung. Das kann man auch als Empathie bezeichnen, die natürlich genauso gegenüber Kunden wichtig ist. Es ist unglaublich schwierig, den Kunden wirklich zu verstehen. Auch wenn er felsenfest davon überzeugt ist zu sagen, was er will, wird er es anders formulieren, als man selbst es tun würde. Um Missverständnisse zu vermeiden, muss man über die Zeit lernen, Briefings oder Korrekturen richtig zu lesen, um schnell zur passenden Lösung zu kommen. Und nicht nur dafür ist auch Pragmatismus wichtig. Die richtige Entscheidung zu treffen, wann man viel Zeit und Leidenschaft investiert und wann weniger, muss man als junge Studierende zwar noch nicht beherrschen, aber rasch lernen. Denn gerade als Freiberufler muss man sich selbst strukturieren, also auch priorisieren können. Wenn man das nicht lernt, endet man schnell im Burnout.

Kann man also zusammenfassend sagen, dass Soft-Skills als FreiberuflerIn wichtiger sind als in einer Anstellung?
Für mich sind die genannten Kompetenzen eher Meta-Skills. Aber Soft- Skills sind auch unheimlich wichtig – und etwas, an dem man genauso arbeiten muss. Das gilt zwar für die meisten Berufe, aber FreelancerInnen leben am Ende sehr stark von Beziehungen, also vom Netzwerk. Man arbeitet oft mehr als ein Mal mit den gleichen Menschen zusammen. Wenn die Menschen nun die Kunden sind, dann müssen sie das auch wollen. Und wenn sie das nicht wollen, dann verliert man unheimlich viele mögliche Optionen – und überlebt dann womöglich eben nicht.
Hälst du es für sinnvoller GeneralistIn zu sein, anstatt SpezialistIn?

Wie ich schon angedeutet habe, glaube ich, dass man als GeneralistIn für die Zukunft besser aufgestellt ist. Und das gilt im besondern Maße für FreiberuflerInnen. Man ist dann nämlich eher in der Lage, Neuerungen zu adaptieren. Wenn man als GeneralistIn die Grundlagen bereits kann, aus denen sich die Neuerung entwickelt hat, dann ist man natürlich sofort am Start. Als SpezialistIn hast du es dahingehend schwerer. Wenn man als Filmemacher, Fotograf oder Illustrator nur einen Stil fährt, der dann aus der Mode kommt, hat man ein Problem. Man muss sich schlimmstenfalls gegen die eigene Leidenschaft in eine Richtung verändern, die man gar nicht machen will. Dann noch zu performen ist schwierig.

Designlehre

Wie denkst du, kann die Lehre gut auf ein Leben als FreelancerIn vorbereiten?
Sie muss die verschiedensten Erfahrungen ermöglichen und die vorhin erwähnte Leidenschaft und den Fleiß fördern. Dafür muss die Lehre auffordern, Eigeninitiative zu zeigen, die eigenen Erfahrungen zu reflektieren und Research zu betreiben. Ich finde es zum Beispiel unglaublich wichtig, dass man auf Reisen so viel wie möglich dokumentiert, um sich bewusst mit den Dingen zu beschäftigen. Dann sieht man die Phänomene klarer und will ihnen vielleicht auf den Grund gehen. Aus den gesammelten Eindrücken kann Inspiration entstehen und das Know-how geschärft werden. Dazu kann man die Eindrücke beispielsweise so aufbereiten, wie man sie anderen gegenüber präsentieren würde – ganz egal, ob man das letzten Endes tut. Der Lerneffekt daraus ist groß. Und alles andere ist wohl Erfahrung. Auch mit der besten Ausbildung und dem größten Talent benötigt man für den Job eine Reife, die erst durch Wiederholung entsteht. Ein gutes Beispiel dafür sind Pitches, die in der Agenturwelt ein ganz übliches Phänomen sind. Auch beim zehnten Pitch ist man noch unsicher und weiß nicht genau, was und wie man präsentieren soll – sowohl inhaltlich als auch technisch. Aber mit der wachsenden Erfahrung wird es immer leichter, bis es am Ende einfach nur noch „ein weiterer Pitch“ ist. Mit dem gewonnen Wissen und der daraus entstehenden Sicherheit, kann man sich immer besser auf die Situation einstellen. Man ist irgendwann reif und kann den Job ohne Einschränkungen ausüben, auch ohne das Sicherheitsnetz einer Agentur.
Und andersrum gefragt: Gibt es für dich auch Pain Points in der aktuellen Designlehre?

Da gibt es sicherlich einige. Wir haben noch zu viele althergebrachte, spitze Kurse, wie zum Beispiel Buchgestaltung oder Ähnliches. Das reicht mir für eine moderne Lehre nicht mehr aus. Und die SchülerInnen stürzen sich zu gerne auf die visuellen, vermeintlich einfachen Kurse wie Collagen oder Fotografie. Es macht ja auch Spaß, sich dort auszutoben. Aber die Wahrheit ist doch, dass man mit dieser Art von Fähigkeit fast nichts mehr ernten kann. Nur ganz wenige starten heute noch als FotografIn durch. Natürlich sollte man als GestalterIn Fotos machen können, aber vielleicht sind derartige Skills mittlerweile zu hoch gehängt. Wie man eine Lehre nun aufbauen sollte, damit diese Skills zwar bedacht, aber nicht zu stark gewichtet sind, kann ich allerdings noch nicht sagen. Es bleibt aber das Phänomen, dass komplexe Kurse deutlich schlechter frequentiert sind, als die einfachen. Das liegt irgendwo in der Natur des Menschen, aber dort entsteht auch das Gefälle zur Realität. In vielen der stark nachgefragten Kurse gibt es kein Briefing und kaum Kritik.

Lass uns an dieser Stelle noch einmal auf die eingangs bereits skizzierte gesellschaftliche Entwicklung zurückkommen. Die Systeme, in denen wir uns bewegen, werden immer komplexer, die Eindrücke, die auf uns einwirken, werden immer krasser. Muss sich diese Entwicklung stärker in dem Aufbau und den Inhalten der weiterführenden Kurse widerspiegeln?
Definitiv. Die DesignerInnen als solche werden mehr und mehr eine andere Rolle einnehmen, die sich vom Stereotyp der GestalterInnen und KünstlerInnen weg bewegt. Die Bedeutung unseres Berufszweigs wird sich stark verändern, gerade in Verbindung mit einer digitalen Zukunft. Je besser man in den aktuellen Kontexten aufgestellt ist, desto größer ist der Mehrwert für einen selbst – und bestenfalls für die Gesellschaft.
Entsprechend wären Themen wie Design Thinking oder allgemein das Vermitteln von Methodenwissen eine Anforderung, die eine zeitgemäße Lehre erfüllen muss?
Absolut. Alleine schon, weil die Kunden und die Wirtschaft es fordern. Das kann man nicht einfach ausblenden. Egal, ob man das gut findet oder nicht, man muss darauf eingehen. In welchem Umfang das geschehen sollte, kann man sicherlich diskutieren – aber es muss ein Bestandteil sein, um anschlussfähig zu bleiben.
Auch hier wieder in einer Transdisziplinarität?
Spontan würde ich das bejahen. Müsste man noch einmal in Ruhe diskutieren. Desto gespannter bin ich auf eure Ergebnisse. Wie schon gesagt, würde ich mir im Moment noch nicht anmaßen, ein ganzheitliches Lehrkonzept aufzubauen – dafür fehlt mir vor allem die Erfahrung in den Sub-Gewerken. Aber Themen wie Design Thinking müssen definitiv ein Bestandteil sein, da kommt man nicht mehr umhin.
Kannst du einschätzen, ob Bereiche wie Psychologie, Soziologie oder Kulturtheorie eine Rolle in der Lehre spielen können oder müssen?
Psychologie spielt im UX Design bereits eine große Rolle, im Speziellen, wenn es um Empathie, Personas und auch User Research geht. Wenn man als Anwalt des Nutzers auftritt und beispielsweise Flows konzipiert, ist das zentral. Ich bin mir aber unsicher, ob es einen eigenen Kurs in diese Richtung geben sollte. Wahrscheinlich müsste es sich etwas spezifischer gestalten. Im Marketingstudium oder und in der Ausbildung Marketingkommunikation gibt es beispielsweise Werbepsychologie, was dem schon ziemlich nah kommen könnte. Aber ja, es gehört auf jeden Fall dazu.

Ethik & Moral

Ich denke, man muss die Schnittmengen definieren und eruieren, ob sie für eine zukunftsfähige Lehre ausgebaut werden müssen. Und da wollen wir eigentlich hin. Bevor wir das Interview abschließen, haben wir noch eine letzte Frage an dich. Wir haben nämlich festgestellt, dass das Thema Ethik und Moral unter den Studierenden gerade sehr virulent ist. Wie sollte die Designlehre deiner Meinung nach mit dem Thema umgehen?
Ich sehe den Trend auch, dass diese Themen wichtiger werden. Ich weiß aber nicht, ob man das explizit fördern muss. Die jungen Leute kommen bereits mit einem Grundverständnis und einem grundlegenden moralischen Kompass an den Hochschulen an. Vielleicht kann man es in Schnittmengen mit spezifischen Inhalten partiell fördern, vielleicht wäre das aber auch eher ein Thema für die weiterführenden Schulen. In der Designlehre sehe ich es also nicht als speziellen Kurs. Aber man wird diese Themen in Projekten immer öfter streifen, und das ist auch gut so.
Vielen Dank für dieses abschließende Statement und natürlich für alle anderen Antworten.
Sehr gerne!